Im Kinosaal 10 der Lugner City wirft der Projektor einen Comic an die Wand, der Hauptdarsteller mit der spitzen Nase und dem grauen Rechtsscheitel heißt Richard Lugner. Es geht um die Sonntagsöffnung, Lugner will sein Geschäft aufsperren, aber drei Männer wollen ihn daran hindern. Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl, der besoffen ein Rotwein-Glas schwenkt, ein dicker Gewerkschafter, der sich wehrhaft vorm Laden postiert und schließlich Kardinal Christoph Schönborn.
Mahnend hebt der Gottsmann den Zeigefinger und sagt: "Öffnest du am Sonntag nur eins von deinen Toren, wirst du in der Hölle schmoren!" Richard Lugner ist bereit, dieses Risiko auf sich zu nehmen. An Sonntagen soll das Lugner-City-Einkaufszentrum geöffnet haben, fordert der Wiener Baumeister.
Verfassungsgerichtshof eingeschaltet
Ende Mai hat er deshalb mit neun weiteren Geschäftsleuten beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) Beschwerde eingelegt - das Verbot der Sonntagsöffnung stehe im Widerspruch zum Grundrecht auf freie Erwerbstätigkeit. Gewerkschaft, Kirche und Bürgermeister Häupl sind gegen eine Öffnung. Jetzt will Lugner für seine Sache die öffentliche Meinung gewinnen.
"Leben wir in einer freien Marktwirtschaft oder leben wir in einer Planwirtschaft", fragt der Seitenblicke-Promi empört in den Kinosaal und blickt zu den Journalisten, die auf rot gepolsterten Sesseln sitzen. "Vorm Gesetz sind alle gleich. Aber im Handel ist das anders", sagt Lugner und zählt auf: Tankstellenshops, Geschäfte an Bahnhöfen und Lebensmittelgeschäfte von Zuwanderern - sie alle tun, was er nicht darf: den Laden am Sonntag aufsperren.
Regionale Ungerechtigkeit
Dass die Landeshauptleute entscheiden dürfen, ob Geschäfte sonntags aufsperren dürfen oder nicht, hält Lugner für eine regionale Ungerechtigkeit. In Tirol gebe es 170 und in
Kärnten 90 Gemeinden, die im Sommer von Mai bis September und im
Winter von Weihnachten bis Ostern aufsperren dürften. Aber in Wien bleibt alles zu. Nur bei der Europameisterschaft 2008 durfte er sein Einkaufszentrum ausnahmsweise öffnen, und da hätten die Kassen laut geklingelt.
Unterstützung holt sich Baumeister Lugner vom renommierten Verfassungsjuristen Heinz Mayer, dem Dekan der juristischen Fakultät der Uni Wien. Das Öffnungszeitengesetz sei ein Bundesgesetz, die Bestimmungen können aber vom Landeshauptmann durch eine Verordnung ausgedehnt werden, wenn ein regionaler Bedarf bestehe.
Immer mehr Arbeit am Sonntag
Mayer meint, viele Menschen müssten am Sonntag arbeiten - vom Polizisten bis hin zum Taxler, vom Arzt über Angestellte in Freizeitunternehmen bis hin zum Wirten. "Je mehr Arbeit es am Sonntag gibt, desto schwieriger ist es zu sagen, im Handel darf man sonntags nicht arbeiten." Der VfGH müsse nun prüfen, ob ein öffentliches Interesse darin bestehe, dass Läden am Sonntag geschlossen bleiben.
"Es heißt immer, es gäbe nicht mehr Geld umzuverteilen. Aber bei den Sonntagstouristen ist das Geld weg, weil am Montag sind sie nicht mehr da", legt Lugner nach. "Und die Österreicher fahren ins Ausland, um dort einkaufen zu gehen." Dürfte der Wiener Handel am Tag des Herren werken, so wäre allen geholfen, glaubt Lugner. Die Geschäfte machten mehr Umsatz, die Angestellten, die am Sonntag arbeiten wollten, bekämen 100 Prozent Lohnzuschlag und die Touristen würden länger in Wien bleiben.
Umfrage: Touristen bleiben länger
Unterstützt wird das letztgenannte Argument von einer Gallup-Umfrage, die die österreichische Hoteliervereinigung in Auftrag gab. Derzufolge würden 63 Prozent der befragten Touristen sonntags einkaufen, wenn es das Angebot gäbe.
20 Prozent der befragten Touristen würden "wahrscheinlich" länger in Wien bleiben, wenn Einkaufen in Wien auch am Sonntag möglich wäre. Tenor der Umfrage: Das Bild von Wien als Einkaufsmetropole ist stark ausbaufähig - und für Touristen sei das Shoppingerlebnis wichtig.
Dass eine Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten Vorteile bringt, will Nils Busch-Petersen aus eigener Erfahrung belegen. Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg hat für die Sonntagsöffnung gekämpft, in Berlin ist es mittlerweile erlaubt, an zehn Sonntagen im Jahr offen zu halten. Der Sonntag sei bei Mitarbeitern beliebt, die Kunden seien zufrieden, die Liberalisierung hätte zu mehr Beschäftigung geführt und den Geschäften mehr Geld gebracht. In Berlin ist seit der Liberalisierung anscheinend alles gut.
Der Papst und der Sonntag
Auch die kleinen Geschäfte hätten mitgezogen. "Es gibt zwar Gegensätze, aber die sind nicht größenbezogen, sondern standortbezogen. In Touristen-Nähe reißen sich die kleinen Geschäfte um die Sonntagsöffnung." Auch die Kirche akzeptiere den Zustand mittlerweile. "Dadurch ist das Abendland nördlich von Ihnen noch nicht untergegangen", sagt Busch-Petersen.
Richard Lugner sagt, selbst in Rom, wo der Papst wohnt, dürften die Geschäfte am Sonntag offen halten. Mit der VfGH-Beschwerde will er als ersten Schritt das Berliner Modell erreichen - an bestimmten Sonntagen soll der Handel handeln dürfen. Lugners Rechtsanwalt Christian Bachmann rechnet damit, dass der Verfassungsgerichtshof seine Entscheidung im ersten Halbjahr 2012 fällen wird. (Benedikt Narodoslawsky, derStandard.at, 29. Juni 2011)