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Anti-Atomkraft Demonstranten vor dem Reichstag in Berlin.

Foto: Axel Schmidt/dapd

Berlin - Der Deutsche Bundestag hat mit breiter Mehrheit den vollständigen Ausstieg Deutschlands aus der Atomkraft bis spätestens Ende 2022 beschlossen. Dafür stimmten am Donnerstag 513 Abgeordnete der Regierungsfraktionen CDU/CSU und FDP sowie der Oppositionsparteien SPD und Grüne. Dagegen votierten 79 Abgeordnete vor allem der Linken; es gab acht Enthaltungen. Die Oppositionsparteien hatten eigentlich einen schnelleren Ausstieg gefordert. Die Linke begründete damit ihre Ablehnung.

Das neue deutsche Atomgesetz sieht vor, dass die sieben ältesten Atommeiler, die nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima zunächst per Moratorium vorläufig abgeschaltet worden waren, nicht mehr ans Netz gehen sollen, auch nicht der schon länger abgeschaltete Pannenreaktor Krümmel in Schleswig-Holstein. Die neun verbleibenden AKW sollen in den folgenden Jahren schrittweise abgeschaltet werden, die meisten allerdings voraussichtlich erst 2021 und 2022.

Laufzeitverlängerung zurückgenommen

Die von CDU/CSU und FDP erst im Herbst vergangenen Jahres gegen starke Proteste als "Brückentechnologie" beschlossenen AKW-Laufzeitverlängerungen werden wieder zurückgenommen. Damit kehrt Deutschland im Kern zum rot-grünen Ausstiegsbeschluss von vor zehn Jahren zurück. Neu ist, dass allen AKW feste Daten zugeordnet werden, bis wann sie vom Netz gehen müssen.

Auch weitere sieben von der christlich-liberalen Koalition eingebrachte Gesetze zur Energiewende billigte das deutsche Parlament. Darunter sind die Neufassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) zur Förderung des Ökostroms, die Beschleunigung des Netzausbaus sowie die verstärkte Förderung der energetischen Sanierung von Wohngebäuden. Die Oppositionsfraktionen stimmten diesen Vorlagen nicht zu. Mit breiter Mehrheit gebilligt wurden auch weitere Vorlagen zum Klimaschutz in Kommunen sowie zur Offshore-Windenergie.

Das Gesetzespaket muss am 8. Juli noch den Bundesrat (Länderkammer) passieren. Die Regelungen sind bis auf die Steuerentlastung bei der Gebäudesanierung aber nicht zustimmungspflichtig.

Der Abstimmung ging trotz des parteiübergreifenden Konsenses beim Atomausstieg eine heftige Debatte voraus:

Gabriel wirft Merkel Versagen vor

Der Chef der oppositionellen Sozialdemokraten, Sigmar Gabriel, sagte dazu an die Adresse des Regierungslagers: "Heute stimmen sie endlich dem rot-grünen Ausstieg zu." Er attackierte vehement CDU-Kanzlerin Angela Merkel und warf ihr völliges Versagen vor. Merkel solle nach der Sommerpause abtreten.

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast hob besonders die Verdienste der Anti-Atom-Bewegung für den nun neu bevorstehenden Ausstiegsbeschluss hervor. Auch sie prangerte den früheren Pro-Atom-Kurs von Union und FDP "auf dem Schoß der vier Atomkonzerne" an. Die deutschen Grünen reklamierten am Donnerstag mit großformatigen Anzeigen in Zeitungen den Atomausstieg als ihren Erfolg.

Gregor Gysi, Fraktionschef der Linken, sagte, es sei möglich, den Atomausstieg bereits bis 2014 umzusetzen.

Röttgen: "nationales Gemeinschaftsprojekt"

Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) sagte, es erfolge eine "wirkliche Weichenstellung für unser Land". Der Atomausstieg und die Energiewende seien ein "nationales Gemeinschaftsprojekt". Der Minister erntete empörte Zwischenrufe und Gelächter aus der Opposition, als er die Energiewende für das Regierungslager reklamierte.

Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) warf Rot und Grün vor, bei ihrem damals beschlossenen Atomausstieg den Umstieg in erneuerbare Energien, einen Ausbau des Stromnetzes und die Nutzung konventioneller Kraftwerke vernachlässigt zu haben.

Der stellvertretende Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Nils Schmid (SPD), forderte "als starkes Industrieland" Unterstützung des Bundes bei der Energiewende. Es sei unter anderem nötig, eine "ordentliche Förderung" der erneuerbaren Energien hinzubekommen.

Der aus Deutschland stammende EU-Energiekommissar Günther Oettinger bezeichnete den Atomausstieg Deutschlands unterdessen als beunruhigend für die Nachbarländer. Dies sei Anlass zur Sorge, sagte Oettinger am Donnerstag in Berlin. Bereits zuvor hatte er betont, Deutschland müsse den Ausstieg mit seinen europäischen Partnern koordinieren. Dann werde es in der EU eine stabile Stromversorgung und Schutz vor außerordentlichen Preiserhöhungen geben. Allerdings müssten sich die europäischen Verbraucher darauf einstellen, dass der notwendige Ausbau der Stromnetze mit einem Cent pro Kilowattstunde zu Buche schlagen werde. Die Abschaltung von deutschen Atommeilern nach der Katastrophe im AKW Fukushima hat laut Oettinger bis zum heutigen Zeitpunkt die Stromversorgung in Europa um zwei bis drei Prozent reduziert.

Der oberösterreichische Umwelt-Landesrat Rudi Anschober (G) erklärte anlässlich des Gesetzesbeschlusses in Berlin, Österreich solle nun in einer breiten Anti-Atom-Allianz in der EU die Weichen für einen europaweiten Ausstieg stellen. (APA)