Die Molekularbiologen konnten mit dem Paradeorganismus der Genetiker, der Fruchtfliege (hier in speziellen Zuchtbehältern), Einblicke in den Ablauf der Evolution gewinnen.

Foto: Vetmeduni Vienna/Wassermann

Wie ist es möglich, dass die Evolution eine derart unüberschaubare Formen- und Größenvielfalt hervorbringt? So banal die Frage zunächst klingt, so schwer beantwortbar ist sie im Detail. Der Versuch, die verwirrende Anzahl von involvierten zellulären Abläufe zu verstehen, beschäftigte ganze Heerscharen an Molekularbiologen während der vergangenen Jahrzehnte. Heute machen Forschende zwar entscheidende Fortschritte, dennoch haben sie erst an der Oberfläche gekratzt, wenn es darum geht, die Mechanismen der Evolution wirklich zu verstehen. Eine Forschungsgruppe rund um David Stern von der Princeton University (USA) ist dem Rätsel mit Experimenten an Fruchtfliegen nun einen Schritt näher gekommen. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen haben die Wissenschafter im Fachjournal Nature veröffentlicht.

Das Hauptinteresse von Sterns Team galt der Evolution von Körpermerkmalen bei Fruchtfliegen. Die Larven zweier eng miteinander verwandten Arten, die eine die weltweit verbreitete Drosophila melanogaster, die andere die Art Drosophila sechellia, die nur auf den Seychellen vorkommt, unterscheiden sich im Muster ihrer Körperbehaarung. Diese Unterschiede sind durch andersartige Expression des bei beiden Arten vorkommenden, so genannten "shaven baby"-Gens (svb) bedingt. svb ist bei der Seychellen-Art bei einigen Zellen nicht aktiv, deshalb haben ihre Larven haarlose Längsstreifen oben und auf der Seite ihrer Körper.

In früheren Arbeiten fand Sterns Team, in dem unter anderem auch Alistair McGregor von der Vetmeduni Vienna mitarbeitet, heraus, dass die Unterschiede zwischen den behaarten und den teils nackten Drosophila-Larven durch Unterschiede in der DNA-Sequenz der Regulatorregion des svb-Gens verursacht werden. McGregor konnte in dieser Arbeit zeigen, dass bestimmte Bereiche des so genannten Enhancers E, das ist ein Stück Regulator, der Zeitpunkt und Intensität der Aktivität von svb auf der Körperoberseite und auf den Flanken steuert, für die Expression des svb-Gens dort verantwortlich ist. Der Teil dieses Enhancers, der das svb-Gen aktiviert, genannt E6, unterscheidet sich bei Drosophila sechellia verglichen mit anderen Fruchtfliegenarten nur geringfügig. Zwei Post-Docs in Sterns Gruppe, Nicholás Frankel und Deniz F. Erezyilmaz, haben jetzt die Auswirkungen jeder dieser Änderungen systematisch untersucht.

Mehr als die Summer der Einzelwirkungen

Diese neuen Ergebnisse sind eine eindrucksvolle Demonstration der Evolution bei der Arbeit. Die Forschenden fanden mindestens fünf Veränderungen in der DNA-Sequenz des Enhancers E, die sich auch in einer geänderten Funktionsweise und damit in der Form der Larvenbehaarung ausdrückten. Interessanterweise hat jede dieser Veränderungen für sich genommen keine allzu große Wirkung auf die Larven. Allerdings ist der gemeinsame Effekt aller Veränderungen zusammen viel größer als die Summer der einzelnen Veränderungen. Anders ausgedrückt: Die Auswirkung einer neuen Veränderung der Enhancer-DNA hängt davon ab, welche Veränderungen davor schon aktiv waren.

Alistair McGregor dazu: "Die Experimente aus unserem Nature-Artikel zeigen erstmals, wie sich einzelne Veränderungen in der Nukleotidsequenz eines Enhancers auf die morphologische Evolution auswirken." Damit ist eine mögliche Erklärung dafür gefunden, wie sich einzelne Mutationen, jede mit nur kleinen Wirkungen, als Resultat einer Abfolge von Einwirkungen auf Populationen fixiert werden und damit am Ende zur Evolution unterschiedlicher Körpermerkmale führen. (red)