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Dem Geigenschwund folgten Strafanzeigen aus aller Welt.

Foto: Reuters

Stimmen die angezeigten Vorwürfe geschädigter Kunden, hat M. eine Art Geigen-Ponzi-Scheme etabliert.

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Wien - Justiz und Kriminalpolizei haben sich schon einmal mit dem nun in der Schweiz in Auslieferungshaft sitzenden Geigenhändler Dietmar M. beschäftigt. Auf Basis einer privaten Strafanzeige hat die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt wegen des Verdachts der Veruntreuung und des Betrugs ermittelt. Im Februar 2009 wurde die Causa aber "aus Beweisgründen eingestellt", wie ein Behördensprecher bestätigt.

Ein Dacapo also: Seit Ende 2010 ermittelt die Staatsanwaltschaft (nun die Wiener) erneut, wegen Betrugs-, Untreue- und Kridaverdachts, an die hundert Geigen werden gesucht. Im Herbst waren M. und seine Wiener Gesellschaft pleitegegangen: Es geht um 80 Mio. Euro an Forderungen. Kunden aus dem In- und Ausland (auch die Nationalbank) suchen Geigen, die sie M. abgekauft oder in Kommission gegeben haben; die österreichischen Banken sitzen auf Krediten von 30 Mio. Euro. Auch sie suchen nach den Instrumenten, die ihnen M. verpfändet hat.

Nur zwei Geigen hat Insolvenzverwalter Jörg Beirer bislang gefunden, die werden gerade von einem Sachverständigen in London auf ihren wahren Wert untersucht. Denn, so weiß der Masseverwalter laut einem Schreiben an den Gläubigerausschuss: "Die vom Gemeinschuldner (also letztlich M., Anm.) angesetzten Preise sind zum Teil wesentlich überzogen." Beirer geht von Überbewertungen bis zu drei Vierteln aus.

Zweiter Anlauf

Im zweiten Anlauf hält die Justiz die Suppe offenbar für dicker. Jedenfalls hat sie einen Gutachter beauftragt, die Bilanzen ab 2005 zu prüfen. 2005 wies M.s Wiener Gesellschaft übrigens ein EGT von 13.515 Euro aus. Der Beschuldigte, dessen Vermögensverhältnisse "undurchsichtig" seien, steht laut Staatsanwalt im Verdacht, "sich Instrumente mit Bereicherungsvorsatz zugeeignet zu haben". Aus Strafanzeigen von M.s Kunden erschließt sich der Ablauf der Deals, hinter denen eine Art Stradivari-Ponzi-Scheme gestanden sein könnte. der Standard betont, dass die Unschuldsvermutung gilt; M. wehrt sich gegen die Auslieferung, verweigert die Auskunft über den Verbleib der Geigen.

So erklärt der Niederländer William L., dem Händler 2005 zwei Geigen und eine Viola um 1,4 Mio. Euro unter Eigentumsvorbehalt übergeben zu haben, M. sollte sie weiterverkaufen. Der Scheck, den M. als Anzahlung übergab, war nicht gedeckt, bezahlt hat er nie, die Geigen sind nie wieder aufgetaucht.

Um acht Mio. Euro geht es beim Brüsseler Geigensolisten Michael G. Er wurde M. durch einen berühmten Dirigenten vorgestellt, Ende 2006 kaufte er ihm bei einem Treffen in Brüssel sechs Instrumente (darunter zwei Stradivaris) um acht Mio. Euro ab und hoffte auf rasche Rendite. M. bot ihm nämlich laut Anzeige an, die Instrumente "um mehr als 8,25 Mio. Euro verkaufen zu können", ein etwaiger höherer Gewinn sollte geteilt werden. Daraus wurde nichts. Denn: "Die Geigen hat Herr M. dann wieder nach Wien mitgenommen, und diese sind seither verschwunden." Allerdings hegt der Musiker weitere düstere Vermutungen: Er nehme "leider" an, dass M. 1936 erstellte Zertifikate der Londoner W.E. Hill & Sons (legendäre Geigenbauer und -experten) für eine 1728 gebaute Stradivari gefälscht hat.

Pech hatte auch das niederländische Ehepaar K. Die Leute kauften sechs Violinen samt Zubehör von M. - und fühlen sich nun um 20 Mio. Euro geschädigt.

Schloss & Steinway versilbert

Aus der Masse wird sich all das nicht decken lassen. Der Kauferlös fürs M.s Schloss in Niederösterreich (3,5 Mio. Euro) fließt fast zur Gänze an Erste Bank und Wiener Neustädter Sparkasse. Auch das Inventar des Schlosses (Schätzwert: 241.000 Euro; davon allein 61.000 Euro für einen Steinway-Flügel) wurde bereits versilbert, und zwar um rund 130.000 Euro, Steinway inklusive.

Dass die Saiten von M.s regen Geschäften trotz zahlreicher Urgenzen seiner Kunden und Banken und zivilrechtlicher Prozesse erstaunlich lange hielten, bestätigt sogar einer seiner Anwälte in einem Brief an den Masseverwalter: "Mein Mandant verstand seine wirtschaftliche Situation bis hin zur ... Insolvenzeröffnung bemerkenswert gut zu kaschieren. Was es ihm auch ermöglicht zu haben scheint, bis zuletzt als durchaus bonitär zu erscheinen." (Renate Graber, DER STANDARD, Printausgabe, 1.7.2011)