Warum weniger Zebrastreifen vielleicht besser wären, man nicht auf Pendler schimpfen darf und sie gegen Nummerntafeln für Räder ist, erklärt ARBÖ-Chefin Lydia Ninz im Gespräch mit Michael Möseneder.
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Standard: Sie sind die erste Frau an der Spitze einer österreichischen Verkehrsorganisation, was sind Ihre Pläne?
Ninz: Wir stehen vor spannenden Zeiten, die Mobilität ändert sich.
Standard: Wie?
Ninz: Die Wahl meines Fortbewegungsmittels hängt davon ab, was ich bezwecke - ob ich mich im urbanen Bereich bewege oder auf längeren Strecken. Es wird ein völliger Umbruch werden.
Standard: Wie soll man darauf reagieren?
Ninz: Nicht tölpelhaft, indem man sich ein Sache herausgreift und alles darauf fokussiert. Beispiel Biosprit, bei dem man nun erkennt, dass die CO2-Bilanz gar nicht so positiv ist.
Standard: Wie dann?
Ninz: Wir sollten uns wieder darauf besinnen, nicht jeden Millimeter mit dem Auto zu fahren. Aber ich bin in der Verkehrsdiskussion für mehr Fairness. Ich kann nicht von jedem verlangen, dass er Rad fährt.
Standard: Warum nicht?
Ninz: Es gibt auch ältere Menschen oder solche, die das Radfahren nie gelernt haben. Oder: In Wien gibt es öffentliche Verkehrsmittel, am Land noch immer nicht.
Standard: Die ÖBB argumentieren, es gibt sie nicht mehr, da sie dort nicht genutzt wurden.
Ninz: Wir als Autofahrer subventionieren schon seit Jahrzehnten die Bahn. Und es ist nicht gelungen, sie als attraktive Alternative aufzubauen. Es ist auch eine ökonomische Frage: Man zahlt schon für das Auto an sich viele Steuern - und dann soll man das Auto stehen lassen und sich noch extra ein Ticket für die Öffis kaufen.
Standard: Umgekehrt kann man fragen, warum man als autoloser Stadtbewohner den Menschen, die aufs Land ziehen, via Pendlerpauschale das Pendeln zahlen soll.
Ninz: Da muss man tiefer ansetzen. Ich habe die Arbeitsplätze in der Stadt, da kann man nicht sagen, die schlimmen Pendler aus Niederösterreich ...
Standard: Moment, da sind aber schon sehr viele dabei, die aus Wien weggezogen sind, damit sie im Grünen wohnen.
Ninz: Ja, da sich vielleicht eine Familie denkt, ihre Kinder sollen etwas Natur haben und sich keine Wohnung in Wien-Döbling leisten kann. Und es gibt ja umgekehrt auch fast 100.000 Auspendler aus Wien, da Fabriken ins Umland gezogen sind. Ich glaube, auf dieser Ebene zu diskutieren ist sehr unsolidarisch. Es ist ein Ausspielen von Bevölkerungsgruppen. Ich habe diese Diskussionen auch mit den Grünen
Standard: Worüber?
Ninz: Über die Frage, warum nicht alle mit dem Rad fahren - es kann eben nicht jeder zentral am Naschmarkt wohnen.
Standard: Weil Sie die Grünen gerade ansprechen: Die wollen mehr Radverkehr, gleichzeitig will Wiens Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou einen Knigge für Radler und andere Verkehrsteilnehmer, da es offenbar doch Probleme gibt.
Ninz: Das R in ARBÖ steht ja für Radfahrer. Der Knigge ist gut, denn für viele Aggressionen gibt es zwei Gründe: Platzmangel und mangelndes Wissen über die gegenseitigen Rechte.
Standard: Warum benötige ich einen Knigge, wenn es die Straßenverkehrsordnung gibt?
Ninz: Knigge hat etwas mit Manieren zu tun. Und wir stellen schon auch oft fest, es gibt Radrowdys, die prinzipiell bei Rot über die Kreuzung fahren.
Standard: Aber die wissen ja, dass sie gegen das Gesetz verstoßen.
Ninz: Das ist ihnen egal, da sie ja nicht erwischt werden - weil nicht kontrolliert wird.
Standard: Die Lösung?
Ninz: Ich halte nichts von einer Überreglementierung durch eine eigene Radpolizei und Nummerntafeln. Mehr sichtbare Kontrollen wären jedoch eine Möglichkeit. Aber es geht generell um mehr Rücksichtnahme.
Standard: Auch bei Autofahrern?
Ninz: Bei allen. Mich ärgert der Begriff Schutzweg zum Beispiel. Das suggeriert, dass man als Fußgänger nicht mehr schauen muss. Obwohl ich niemanden verteidigen will, aber wenn es wie in Wien so viele Zebrastreifen gibt, hält man als Autofahrer vielleicht nicht mehr an jedem. Gibt es weniger, hält man - das ist mir in anderen Städten aufgefallen.
Standard: Letzte Frage: Sie sind Südtirolerin, wie kommen Sie dort beim nächsten Besuch hin?
Ninz: Mit dem Auto. Der schnellste Zug braucht fast acht Stunden. (Michael Möseneder, DER STANDARD, Printausgabe, 1.7.2011)