Budgets sind nichts anderes als in Zahlen gegossene Politik, letztlich nur der Ausdruck dafür, in welche Richtung sich eine Gesellschaft bewegen will oder gar muss.

Diese alte Regel gilt nicht nur, wenn Regierungen in den Nationalstaaten ihren Parlamenten die neuen Haushaltspläne vorlegen. Dort zeigt sich dann in harten Zahlen, ob das, was die jeweiligen Machthaber ihren Wählern versprochen haben, auch in der Wirklichkeit Bestand hat.

Dem Wesen nach ähnlich und nur von der Ablaufstruktur her anders - weil viel komplizierter - ist es, wenn die EU-Kommission im Auftrag der 27 Mitgliedsländer der Union alle sieben Jahre einen ersten konkreten Vorschlag zur nächsten langfristigen Budgetplanung vorlegt. Sie handelt dabei als eine Art indirekt gewählte "Regierung", die die Wünsche der einzelnen Staaten und ihrer Bürger, die Verpflichtungen aus dem EU-Vertrag und die früher beschlossenen Programme zusammenträgt und in ein Gesamtkonzept bringt. Das Ganze wird dann in mehreren Schritten mit dem EU-Ministerrat und dem Europaparlament zu einer Kompromisslösung gebracht. Dauer: mindestens eineinhalb Jahre.

So gesehen ist es kein Wunder, was seit dem Beschluss der Kommission Mittwochnacht quer durch Europa eingesetzt hat - ein wildes Hauen und Stechen. Wir stehen erst am Anfang der EU-Budgetwerdung.

Jene Staaten, die Nettobeiträge ins Budget zahlen, zeigen sich empört und fordern viel drastischere Schnitte bei den EU-Ausgaben, weil sie sich eine Entlastung im heimischen Budget wünschen. Die, die unter den bereits vorgesehenen Einsparungen zu leiden hätten, zeigen sich entrüstet, voran die Bauern. Ärmere Länder, die sich in Zukunft mehr an Zuwendungen von der EU erwartet hätten, sind skeptisch, vor allem die neuen EU-Mitglieder aus Osteuropa.

Fast niemand ist mit dem Gesamten zufrieden, weil jeder in dieser frühen Phase der Verhandlungen in erster Linie nur den eigenen Vorteil im Auge hat, nicht aber das Gemeinsame der Europäischen Union. Das war bei früheren Verhandlungen - 2005 sind sie krachend gescheitert - nicht anders.

Aber dennoch lassen sich aus den Vorschlägen, die Kommissionspräsident José Manuel Barroso Mittwochnacht auf den Tisch gelegt hat, schon heute ein paar konkrete Schlüsse ziehen, wie Europa sich in den kommenden Jahren entwickeln könnte.

Erstens: Die Bereitschaft der EU-Staaten, in die gemeinsame Union zu investieren, ist erschreckend gering. Dem Normalbürger mag es ungeheuer viel vorkommen, dass die EU bis 2020 rund 1000 Milliarden im Budget haben wird - das ist eine große Zahl. Rechnet man sie aber auf die gemeinsame Wirtschaftskraft der 27 um, ist das wiederum nicht viel: Seit Jahrzehnten geben wir nur rund ein Prozent unseres BIPs nach Brüssel ab.

Zweitens: Das alles läuft vor dem Hintergrund, dass es inzwischen statt zwölf schon 27 Mitglieder gibt und ganz andere gemeinsame Herausforderungen in der globalen Welt. Aber die EU-Staaten denken nicht daran, die gemeinsame Politik bis 2020 zu stärken.

Drittens: Die Einnahmen der Union fußen derzeit zu 80 Prozent auf Beiträgen, die von Nationalstaaten nach Brüssel überwiesen werden. Das dokumentiert ganz gut die Abhängigkeit der Union von den Hauptstädten. Deshalb schlägt Barroso vor, EU-Mittel über Anteile aus Finanztransaktionssteuern stärker aus dem nationalen Zugriff zu lösen. Er will mehr Eigenständigkeit. (Thomas Mayer, DER STANDARD, Printausgabe, 1.7.2011)