Eva van Rahden ist Obfrau der Einrichtung "SOPHIE - Bildungsraum für Prostituierte".

Sophie

Am 30. Juni wurde für Wien ein neues Prostitutionsgesetz beschlossen. Bei der Novellierung des Gesetzes war die "Entflechtung der Straßenprostitution vom Wohngebiet", wie es die SPÖ formuliert, ein besonders wichtiger Punkt. Mit dem neuen Gesetz werden auch Freierbestrafungen und neue arbeitsrechtliche Regelungen ab 1. November in Kraft treten. dieStandard.at sprach mit Eva van Rahden, Obfrau der Einrichtung "SOPHIE - Bildungsraum für Prostituierte" über die neuen Maßnahmen und über falsche Prioritäten in der Gesetzgebung für Sexarbeit.

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dieStandard.at: Das neue Wiener Prostitutionsgesetz wird Straßenprostitution in Wohngebiete ab November verbieten und will diese auf Gebiete wie z.B. den Prater oder in meldepflichtige Prostitutionslokale verlagern. Eine kluge Maßnahme im Sinne der Sexarbeiterinnen?

Eva van Rahden: Grundsätzlich sollen ja noch Erlaubniszonen definiert werden, diese müssen aber ganz genau in den Blick genommen werden. Nach meinem Wissen können die Erlaubniszonen sehr wohl auch in einem Wohngebiet liegen. Wichtig bei diesen Zonen ist in erster Linie, dass es sichere Arbeitsplätze sind. Wenn das sehr abgelegene Orte sind, werden Frauen diese als Anbahnungsorte nicht annehmen, weil das für sie einfach zu gefährlich ist.

dieStandard.at: Aber es wird doch mehr oder weniger in jedem Wohngebiet AnrainerInnenwiderstand geben.

Eva van Rahden: Ich entnehme diesen Diskussionen immer dieses "nicht vor meiner Haustür!". Wir leben aber nun mal in einer Millionenstadt, in einer solchen werden gewissen Dinge immer stattfinden. Wenn wir keine legalen Orte für die Anbahnung von Prostitution zur Verfügung stellen, dann wird es halt einen illegalen Straßenstrich geben. Da ist eine Einigung auf Erlaubniszonen bestimmt sinnvoller. Aber es ist wichtig, dass es ausreichende In- und Outdoor Arbeitsplätze gibt. Ansonsten kann es immer zu neuen Problemen kommen, zum Beispiel Konkurrenz um Standplätze.

dieStandard.at: Ein Kritikpunkt der Bürgerinitiative Felberstraße zum Beispiel ist, dass sich viele schon jetzt nicht an die aktuellen Schutzzonen (um Schulen oder Kirchen) oder an die zeitlichen Einschränkungen halten.

Eva van Rahden: Es geht immer um die Frage, wie praxisnah diese Regelungen sind. Bei den Schutzzonen, mit 150 Meter Abstand zu bestimmen Plätzen, konnten viele Frauen nicht nachvollziehen, wo die Zonen nun genau enden und wo sie sich hinstellen können. Im Zuge unserer Beratungsarbeit werden wir von den Frauen immer wieder gefragt, wo denn genau diese Schutzzonen sind. Wenn wir beim Beispiel 15. Bezirk bleiben, haben wir die Situation, dass nur sehr wenige Orte übrigbleiben, wo sie sich hinstellen können. Und da passieren dann Überschreitungen. 

dieStandard.at: Die zeitlichen Einschränkungen werden mit dem neuen Gesetz fallen, was bringt dieser Beschluss?

Eva van Rahden: Grundsätzlich muss man sagen, dass es in Wien immer eine Anbahnung auf der Straße unter Tags gegeben hat. Der Tagesstrich ist zwar sehr unsichtbar, aber er findet statt. Die Aufhebung der Zeiten für Straßenprostitution könnte bedeuten, dass es für bestimmte Gebiete mit bereits existierender Anbahnung unter Tags eine Entlastung gibt. Durch die Illegalität musste sehr unsichtbar vorgegangen werden, wodurch es auch zu Verwechslungen und in Folge zu AnrainerInnenbeschwerden gekommen ist. Daher ist es besser, dass das in dafür definierten Gebiete passiert. Es ist einfach die Legalisierung einer Situation, die es bisher auch schon gegeben hat.

dieStandard.at: Spinde für Frauen sollen künftig in den Prostitutionslokalen auch Pflicht werden. Kann so etwas eine Verbesserung für die Arbeitsbedingungen für Sexarbeiterinnen bedeuten?

Eva van Rahden: Das ist eine sehr kleine Maßnahme. Grundsätzlich ist unsere Haltung, dass erst mal die Sittenwidrigkeit fallen muss. Im Moment arbeiten Sexarbeiterinnen als freie Dienstnehmerinnen, sie können nicht angestellt werden und sie können auch kein Gewerbe anmelden. Wenn in dieser Situation neue arbeitsrechtliche Regelungen kommen, wird es für die BetreiberInnen der Lokale schwierig. Kontrollen vom Finanzamt oder von der KIAB (Kontrolle der illegalen Arbeitnehmerbeschäftigung) kommen dann und es heißt, „das ist Indoor, die Frauen müssten eigentlich angestellt sein" und es kommt zu Strafen - obwohl die Frauen als Sexarbeiterinnen gar nicht angestellt werden können oder über keinen Arbeitsmarkzugang verfügen! 

Die Gefahr liegt somit darin, dass es zu widersprüchlichen Handlungsweisen zwischen den Magistraten kommen kann. Es wäre sehr wichtig, dass da akkordiert wird. Auf der einen Seite arbeitsrechtliche Vorschriften machen und auf der anderen eine Anstellung in dem Bereich unmöglich zu machen - das zeigt den großen Graubereich dieses Feldes auf. Die Reihenfolge ist derzeit die falsche: Wir brauchen erst den Wegfall der Sittenwidrigkeit. Wir brauchen auch Klarheit darüber, ob angestellt werden kann oder nicht, oder ob ein Gewerbe anmeldet werden kann oder nicht. Dann kann man über Spinde reden. 

Das Problem liegt aber auch daran, dass vieles, etwa die Sittenwidrigkeit, auf Bundesebene geregelt werden muss. Das macht das Ganze zu einer sehr komplexen Problemstellung. 

dieStandard.at: Wie schätzen Sie die im neuen Gesetz verankerten Strafen für Freier ein, die außerhalb der vorgesehenen Zonen Anbahnungsgespräche führen?

Eva van Rahden: Wir stehen einer Freierbestrafung grundsätzlich sehr kritisch gegenüber. Da stellt sich die Frage, ob die Frauen dann auf der Straße überhaupt noch mit wem reden können, denn jeder könnte dafür eine Strafe kassieren. War das jetzt ein Anbahnungsgespräch oder nicht? Es gibt also die große Frage der Beweisbarkeit. Zudem sehen wir die Freierbestrafung insofern auch kritisch, weil wir aus internationalen Forschungen wissen, dass die Freier z.B. für die Klärung von Verbrechen sehr wichtig sind, etwa für Opferidentifizierungen. Freier sind somit eine wichtige Gruppe, die mit den Frauen in Kontakt steht. An manche Frauen kommen oftmals weder die Polizei noch NGOs heran. Wenn die Freier durch Strafen sanktioniert werden, glaube ich, dass sich noch weniger Freier dazu entschließen, von ihnen beobachtete Gewalttaten oder Auffälligkeiten der Polizei zu melden. 

dieStandard.at: Eine wichtige Position in der Debatte um Prostitution/Sexarbeit und um ihre Rechte oder Strafen für Freier würde darauf antworten: Wenn es überhaupt keine Freier mehr gäbe, gäbe es auch keine Gewalttaten an Sexarbeiterinnen mehr aufzuklären. Es geht dieser Position somit darum, aufzuzeigen, dass letztlich nur ein völliges Verbot von Prostitution im Sinn der Frauen sein könnte. 

Eva van Rahden: Ich kenne dieses Argument natürlich. Ich bezeichne mich selber als Feministin und empfinde es als traurigen Moment im feministischen Diskurs, wenn Frauen anderen Frauen die Sprache absprechen. Ein Beispiel: An einer Diskussionsveranstaltung nimmt eine Sexarbeiterin teil, die zwanzig Jahre diesen Beruf ausgeübt hat und sich dafür freiwillig entschieden hat. Und dann sagt eine andere zu dieser Frau, sie hätte noch nie eine getroffen, die das freiwillig gemacht hätte, das gäbe es einfach nicht. Aber es gibt Frauen, die sagen: Ja, es war meine Wahl. Dass das negiert wird, finde ich hochproblematisch. 

Die Art und Weise, wie sexuelle Leistungen nachgefragt werden, hat natürlich etwas mit unserer patriarchalen Weltordnung zu tun - das ist keine Frage. Die Hauptanbieterinnen sind Frauen oder Männer für Männer, es gibt kaum Nachfrage von Frauenseite. Dennoch gibt es z.B. in den USA Bordelle, die sich nur an Frauen wenden. Daran zeigt sich, dass auch Frauen sexuelle Dienstleistung kaufen, wenn sie über ein entsprechendes Einkommen verfügen. Es hat also auch damit zu tun, wie viel Geld jemand zur Verfügung hat. 

Wenn ich mir feministische Utopien vorstelle, könnte es zwei Möglichkeiten geben: Dass es von beiden Geschlechtern keine Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen gibt, oder sie werden gleichberechtigt von beiden nachgefragt. Das wird sich dann zeigen, aber ich denke man sollte das nicht moralisch bewerten. Wir leben in einer Gesellschaft, in der man Dienstleistungen kaufen kann, warum dann nicht auch sexuelle Dienstleitungen? 

dieStandard.at: Die FPÖ will dieses Angebot zumindest nicht auf der Straße sehen und hätte gern ein generelles Verbot von Straßenprostitution. 

Eva van Rahden: Das ist keine Option. Sehr viele Frauen betonen, dass es für sie ganz wichtig ist, auf der Straße zu arbeiten. Dort haben sie keine Fixkosten, sie können selber bestimmten, wann sie arbeiten und sie müssen auf der Straße auch keinen Alkohol konsumieren - es gibt viele Gründe. Wenn es aber günstige und ausreichende Indoor-Arbeitsplätze gibt, kann ich mir schon vorstellen, dass einige Frauen auch gerne drinnen arbeiten würden.

Es gibt keine Patentlösung. Das ist ein sehr komplexes Problem und es müssen auch die spezifischen Kontexte und historischen Gegebenheiten einer Stadt berücksichtigt werden. Wien hat eine andere Tradition als viele andere Städte, in denen es immer eine Bordellstraße gegeben hat - wie die Reeperbahn in Hamburg etwa. Die Soziologin Martina Löw hat in einer Studie gezeigt, dass Wien diesbezüglich sehr dezentral ist. Da stellt sich die Frage, wie stark kann man zentralisieren und wie stark ist das überhaupt gewollt. (Die Fragen stellte Beate Hausbichler, dieStandard.at, 3. Juli 2011)