In der Türkei gibt es über 1.700 Zeitungen, davon erscheinen etwa 35 landesweit.

Foto: Yilmaz Gülüm

Die Ergebnisse der Studie der Bilgi Universität zum Thema Zensur, Selbstzensur und die Ängste der JournalistInnen.

Foto: Yilmaz Gülüm
Foto: Yilmaz Gülüm
Foto: Yilmaz Gülüm

Die meistverkauften Zeitungen in der Türkei. (Gazete, türk. Zeitung; Kodu, türk. Code; Satis, türk. Verkauf; Önceki, türk. vorher; Fark, türk. Unterschied)

Foto: MEDYATAVA - Çift Sarılı Yumurta Tadında

"Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient." So lautet ein Joseph Marie de Maistre zugeschriebenes Zitat. Das selbe könnte man wohl auch über Medien sagen. Die türkische Medienlandschaft und - was vielleicht noch wichtiger ist - die Vorgänge innerhalb dieser, sind ein guter Indikator dafür, wie das Land im Gesamten tickt.

Wenn in diesen Tagen über Journalismus in der Türkei gesprochen wird, sind die Sorge um Presse- und Meinungsfreiheit das zentrale Thema. Die Bilgi Universität hat zum Thema Zensur, Selbstzensur und die Ängste der JournalistInnen eine Studie durchgeführt. Die Ergebnisse (sie wurden bereits in einem Vortrages präsentiert, sind jedoch noch nicht öffentlich zugänglich) sind beachtenswert.
67 JournalistInnen quer durch die gesamte Medienlandschaft wurden befragt. 91 Prozent sind demnach der Ansicht, dass Stories von öffentlichem Interesse nicht veröffentlicht werden. 96 Prozent geben als Grund dafür Druck von Seiten der Politik an. 92,4 Prozent sagen, es liegt auch an den Medieneigentümern. Etwa 65 Prozent der Befragten geben an, dass sie Angst haben wegen eines Artikels angezeigt zu werden.

Die Schere im Kopf

Dementsprechend gibt auch über die Hälfte an, schon einmal Stories in abgemilderter Form veröffentlicht zu haben. Ein klassischer Fall von Selbstzensur. Die Themen, bei denen das am häufigsten der Fall ist, sind das Verhältnis zwischen Medieneigentümern und der Regierung (92, 7 Prozent stimmen zu), religiöse Communities und ihre Verbindungen zur Regierung (88,8 Prozent stimmen zu) und Skandale großer Firmen (85,1 Prozent stimmen zu).

Alle JournalstInnen stimmen zu, dass Zensur und Selbstzensur ein weit verbreitetes Problem ist. Über 90 Prozent sind der Ansicht, dass die Verhaftung zahlreicher KollegInnen ein allgemeines Klima der Angst in den Redaktionen verursacht.

Laut einem OSZE-Bericht befinden sich 57 türkische JournalistInnen derzeit im Gefängnis, einige seit längerem in Untersuchungshaft, ohne die Anklageschrift gesehen zu haben. Das brachte der Türkei für 2010 den 138. Platz im Pressefreiheits-Index der "Reporter ohne Grenzen". Sogar der Irak und Ägypten unter Mubarak schneiden noch besser ab.

Die größten Zeitungen

Sehen wir uns dieses Mediensystem etwas genauer an. Es gibt über 1.700 Zeitungen, davon erscheinen etwa 35 landesweit. Das am häufigsten verkaufte Blatt ist die regierungsnahe "Zaman", die auch eine österreichische Schwester namens "Zaman Avusturya" hat. Es gibt jedoch das Gerücht, dass ein Teil der Reichweite erschwindelt wird. Mein Mitbewohner etwa war bis vor kurzem Abonnent, obwohl er die Zeitung nie gelesen hat. Ein Freund von ihm wohnt in einem "Feytullah Gülen Haus" und musste jemanden zum Abonnenten machen, um dort bleiben zu dürfen, sagt er.

Die zweitstärkste Zeitung ist "Posta". Wer große Bilder mag und wissen will, welcher Promi gerade mit wem etwas am Laufen hat, wieso, wie lange noch und überhaupt- was sind die schmutzigen Details?- und nebenbei noch etwas Politik und Weltgeschehen, der ist hier richtig aufgehoben. Boulevard vom Feinsten.

Die erste regierungskritische Zeitung, mit der vermutlich bescheidensten Onlineausgabe, kommt mit "Sözcü" auf Platz fünf. Mir persönlich ist diese Zeitung während des Wahlkampfes aufgefallen, als man statt "Ministerpräsident Erdogan" lieber "Diktator des Schreckensimperiums" schrieb.

Eigentümerkonzentration

Trotz einer relativ breiten Auswahl an Medien sind die Eigentümer doch recht stark konzentriert. Da gibt es die große und mächtige Dogan Holding. Ihr gehören fünf der landesweit erscheinenden Zeitungen, zwei der größten Fernsehkanäle und eine Nachrichtenagentur. Seit das Finanzministerium eine Anzeige wegen Steuerhinterziehung in Höhe von über einer Milliarde Euro erstattet hat, ist die gesamte Gruppe klar regierungskritischer geworden.

Eine andere wichtige Gruppe ist die Calik Holding. Sie besitzt zwar "nur" zwei der 15 größten Zeitungen und nur einen großen Fernsehsender, hat aber einen interessanten Chef. Berat Albayrak heißt er und ist der Schwiegersohn von Erdogan. Wenig überraschend sind die Produkte dieser Gruppe wenig regierungskritisch.

Serien, Dramen und kein Happy End

Allerdings hat keines dieser journalistischen Produkte im Ausland eine besonders große Bedeutung. Anders sieht es da schon bei anderen Medienprodukten aus, nämlich den Fernsehserien. Es gibt sie zu Dutzenden, jeden Tag mehrere gleichzeitig auf verschiedenen Sendern. Eine Folge dauert in der Regel 90 Minuten, die Handlung schreitet entsprechend eher langsam voran.

Die syrischen Flüchtlinge in den Camps schauen etwa am liebsten "Kurtlar Vadisi" (Tal der Wölfe), so heißt es. In Österreich wurde die Serie bekannt, als der Film dazu in Deutschland aufgrund antisemitischer Tendenzen zunächst verboten wurde. Exportiert werden die Serien etwa nach Usbekistan, Kasachstan, teilweise in den Balkan und zuletzt eben auch in den arabischen Raum.

Und was für Geschichten werden in den Serien so erzählt? Nun, da es ziemlich viele Soaps gibt, sind auch die Geschichten unterschiedlich. Exemplarisch will ich aber (ohne, für Interessierte, zu viel zu verraten) einen Einblick in eine Serie geben. Für mich eine charakteristische Dramaturgie:

"Fatmagül'ün sucu ne?" (Was ist Fatagüls Verbrechen?) Es geht um ein junges (selbstverständlich) hübsches Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen. Am Anfang der Serie wird sie von drei reichen Männern vergewaltigt, einer schaut zu. Danach geht es um die Ehre der Familie, Intrigen, Lügen, Komplotte. Es gibt eine unmoralische Schwägerin und einen Ex-Freund (es gibt immer einen!), der sie zurück haben will. Und die Frage die offen bleibt, ist, ob Fatmagül jemals glücklich sein wird und ob die Täter ihre gerechte Strafe bekommen. Jetzt ist allerdings Sommerpause. Müssen sich die Leute eben mit etwas anderem beschäftigen (Yilmaz Gülüm, 4. Juli, 2011, daStandardat)