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Ein Demonstrant schleudert einen Stein auf Polizisten, die die Tunnelbaustelle in der Val di Susa bewachen. Die Beamten antworten mit Tränengas.

Foto: REUTERS/Giorgio Perrottino

Am Anfang sieht alles friedlich aus: Sonntagmittag setzt sich in Giaglione ein bunter Zug in Bewegung, den rund 3000 Demonstranten voran marschieren die Bürgermeister der Talgemeinden. Von Polizei keine Spur. Kurz vor der Tunnelbaustelle bei Chiomonte setzen sich dann vermummte Demonstranten an die Spitze, Dutzende tauchen im Wald unter. "Die Val di Susa wird euer Vietnam", drohen Sprechchöre.

Diesmal sind sie besser für die Schlacht gerüstet als vor einer Woche, als es das erste Mal zu Ausschreitungen kam: Gasmasken, Tabletten gegen Brechreiz, Ammoniakflaschen und Molotowcocktails haben sie dabei. Polizisten in Kampfausrüstung setzten Tränengas ein, dass die Baustelle in Wolken hüllt. In der Luft kreist ein Hubschrauber.

2000 Polizisten mussten Baustelle räumen

Seit zwölf Jahren demonstrieren die Talbewohner gegen den Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke für Güterzüge durchs enge Susatal. Die EU setze Italien ein Ultimatum: Hätten die Bauarbeiten nicht am 30. Juni begonnen, hätte das Land 670 Millionen Euro an EU-Förderungen verloren.

Als vor einer Woche die Arbeiter anrückten, musste ein Großaufgebot von 2000 Polizisten die Baustelle für den 52-Kilometer-Tunnel nach Frankreich räumen und mit Stacheldraht einzäunen "Wir kommen wieder", hatten die unterlegenen Demonstranten gedroht. "Paramilitärisch", seien sie diesmal organisiert gewesen, zeigt sich der Polizeichef irritiert. Es handle sich um "gewaltbereite schwarze Blöcke aus Spanien, Deutschland, Österreich und Frankreich".

Zehn Stunden Guerillakrieg

Der Guerillakrieg dauert zehn Stunden. Immer wieder tauchen die Demonstranten in Wäldern und Weinbergen unter, formieren sich zu neuen Angriffen, die Polizei setzt Wasserwerfer und Gummiknüppel ein. "Wir sind die Waldgeister. Ihr werden uns nicht los", ruft einer der vermummten Jugendlichen aus dem Gebüsch.

Am Abend sieht die Bilanz ernüchternd aus: 188 verletzte Ordnungshüter, über 220 verletzte Demonstranten, einige schwer, vier werden verhaftet. Ratlos blicken die friedlichen Demonstranten vom Sportplatz von Chiomonte auf die dichte Tränengaswolke. "Wir haben die Protestbewegung nicht mehr im Griff", klagt Antonio Ferentino, Bürgermeister von Sant'Antonino di Susa. Der Komiker und Öko-Aktivist Beppe Grillo gießt Öl ins Feuer, würdigt die Demonstranten als "Helden": "Das hier ist eine außerordentliche Revolution, ganz Italien richtet den Blick auf euch". 

Gewalt verurteilt

Am Abend verurteilt Staatspräsident Giorgio Napolitano die "subversive Gewalt" der Demonstranten. Innenminister Roberto Maroni spricht von "Terror und versuchtem Mord". Auch Grillo distanziert sich. Die verängstigten Arbeiter an der Tunnelbaustelle nehmen am Montag unter massivem Polizeischutz ihre Arbeit wieder auf.

Bis zum Jahr 2025 soll der zwölf Milliarden Euro teure Tunnel für den Güterverkehr fertiggestellt sein. Doch daran glauben in der Val di Susa nicht einmal die wenigen Befürworter der umstrittenen Strecke. (Gerhard Mumelter aus Rom, DER STANDARD-Printausgabe, 5.7.2011)