Wien/Graz - Mit einem umstrittenen Gutachten im jüngsten Fall von angeblichem sexuellen Missbrauch durch Vertreter der katholischen Kirche wird sich jetzt Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) beschäftigen müssen. Der grüne Justizsprecher Albert Steinhauser hat eine entsprechende parlamentarische Anfrage eingebracht.

Dorn im grünen Auge ist der Grazer Psychiater Peter Hofmann. Dieser hatte im Auftrag von Leo M. - hochrangiger Funktionär bei der Missio Austria - ein psychiatrisches Gutachten über eine 45-jährige Frau erstellt. Das mutmaßliche Opfer erhebt gegen M. den Vorwurf der sexuellen Nötigung - Der Standard berichtete. M. bestreitet dies vehement und legte zu seiner Entlastung das Gutachten vor. Psychiater Hofmann diagnostiziert darin eine "emotional instabile Persönlichkeit (Borderline)". 

Kritik für Ferndiagnose

Einen Kontakt hat es zwischen Arzt und Opfer aber nie gegeben. Basis des Gutachtens waren über 1000 Schreiben, die die Frau dem Geistlichen geschickt haben soll. Die Ferndiagnose brachte dem Grazer Gerichtssachverständiger jetzt herbe Kritik ein. Patientenanwalt Gerald Bachinger nannte es "sehr problematisch", wenn Gutachten nur auf schriftlichen Unterlagen basieren.

Der grüne Justizsprecher fordert, Hofmann die Lizenz als Gerichtsgutachter zu entziehen. Steinhauser: "Es stellt die fachliche Qualifikation in Frage, wenn ein Psychiater eine Diagnose nur aufgrund von SMS und E-Mails stellt. Das ist kein Gutachten, sondern die Privatmeinung des Herrn Hofmann. Mit dem Ziel, die Betroffene in der Öffentlichkeit zu diskreditieren." Hofmann selbst weist die Vorwürfe, er sei bei seinem Gutachten unprofessionell oder unethisch vorgegangen, in einem dem Standard vorliegenden E-Mail zurück. Dennoch trat der Mediziner am Freitag aus der "Gesellschaft für Psychiatrie" aus.

Erstaunliche Aussagen

Kern der parlamentarischen Anfrage sind aber auch frühere Aussagen des Psychiaters. Bei einem Kongress des "Instituts für Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie" (RPP) 2007 in Graz diskutierte Hofmann unter anderem mit dem Salzburger Weihbischof Andreas Laun über "Kirche und Pädophilie". Dabei fielen erstaunliche Aussagen.

Heute gebe es in der öffentlichen Meinung die Tendenz, zu meinen, alle Opfer von Pädophilen seien "schwerstens traumatisiert", führte der Psychiater damals aus. Hofmann: "Das ist nicht der Fall. Pädophile Handlungen bleiben, oft auf Ebene der Berührung". Untersuchungen würden zeigen: "Die Hälfte der betroffenen Kinder kann mit pädophilen Übergriffen gut umgehen. Sie ordnen sie in ihre Biographie ein und bekommen keine posttraumatische Belastungsstörung."

Steinhauser: "Skandalös. Wie kann jemand, der so eine Meinung vertritt, als Gerichtsgutachter hochsensible Fälle beurteilen?" (Markus Rohrhofer, DER STANDARD-Printausgabe, 5.7.2011)