Wolfgang Mazal: "Wer sich mit dem Kinderthema konfrontiert, muss auch bereit sein, sich dem Unplanbaren zu stellen."

Foto: STANDARD/Cremer

Bild nicht mehr verfügbar.

Warum sich immer weniger Männer fortpflanzen wollen, kann nicht abschließend geklärt werden. Weil: "Das Geld für komplexe Männerforschung fehlt", sagt Mazal.

Foto: APA/dpa/Julian Stratenschulte

Zur niedrigen Geburtenrate hierzulande tragen nicht nur die Frauen bei – auch immer mehr Männer begeben sich in den "Zeugungsstreik". Im Gespräch mit derStandard.at analysiert Familienforscher Wolfgang Mazal die Gründe für diese Entwicklung. Viele Unternehmer würden nur in Sonntagsreden Familienfreundlichkeit signalisieren. An der konkreten Umsetzung hapert es jedoch. Zudem würden immer mehr junge Männer dem Spagat zwischen Familienernährer und der Vaterschaft ablehnen. Über das "perfekte Projekt Kind", die Frage, ob die Politik der ÖVP Teil des Problems ist und darüber, was Männer eigentlich wollen, sprach er mit Katrin Burgstaller.

derStandard.at: Sie haben einmal gesagt, die Einstellung der Gesellschaft zu Kindern muss sich verändern. Wie ist die Gesellschaft denn zu Kindern eingestellt?

Mazal: In vielen öffentlichen Kommunikationen, insbesondere auch in der Arbeitswelt, wird das Kind heute als eine Einschränkung empfunden und dargestellt. Kinder gelten als Hindernis in der beruflichen und persönlichen Entfaltung von Frauen und Männern. Kinder werden oft als Karrierehemmnis kommuniziert und erfahren. Das ist ein klares Indiz dafür, dass wir Kinder nicht als positiv und bereichernd, sowohl für die Individulabiografie als auch für die Gesellschaft empfinden.

derStandard.at: Man hört öfters von Bürgern, die gegen Lärm aus benachbarten Kindergärten mobil machen. Glauben Sie, dass Kinder auch im persönlichen Erfahrungsbereich als Problem gelten?

Mazal: Für mich ist es sehr fragwürdig aus Einzelphänomenen einen Gesamtrückschluss zu ziehen. Ich sehe im Privatbereich sehr viel positives Engagement für Kinder. Ich hoffe, dass das Einzelfälle sind. Wenngleich die breite öffentliche Kommunikation dieses Einzelfalles die Wahrnehmung bestimmt. Das viel größere Problem ist das Kind- und Karrierethema.

derStandard.at: Früher galten Kinder als Inbegriff des Soliden. Würden Sie dem zustimmen?

Mazal: Ich würde das nicht mit Solidität verwechseln. Ich würde sagen, das ist ein Mensch, der sich auch der Unplanbarkeit und der Offenheit des Lebens stellt. Jeder, der Kinder hat und mit Kindern lebt, weiß, dass das Planbare und Solide für diese Lebenssituation nicht zutrifft. Wer sich mit dem Kinderthema konfrontiert, muss auch bereit sein, sich dem Unplanbaren zu stellen.

derStandard.at: Werden Kinder heute stärker als früher als Risikofaktor wahrgenommen?

Mazal: Kinder werden mit Sicherheit unter zwei Gesichtspunkten anders wahrgenommen als früher. Auf der einen Seite gibt es einen enorm hohen Anspruch an das Individuum. Man möchte mit dem Kind ein perfektes Projekt hinlegen. Das war früher nicht der Fall. Das Kind wurde früher mit einer größeren Selbstverständlichkeit erlebt und nicht als Zwang zu einem perfekten Projekt. Kind wird in Zusammenhang mit der Überforderung, die aus dem Idealbild entsteht, als Einschränkung wahrgenommen. Junge Menschen sagen zum Beispiel oft, "zuerst möchte ich noch viel reisen, zuerst muss ich noch viel erleben, dann kriegen wir Kinder". Das sind für mich auch bedrückende Zugänge. Damit zeigen diese Menschen, dass sie Kinder als vorläufiges Ende vom guten Leben assoziieren. Das ist eine verkürzte Wahrnehmung, die die Gesellschaft, die Werbung, die Arbeitswelt, kommuniziert.

derStandard.at: Auch Männer tragen zur geringen Geburtenrate bei. Neben dem Geburtenstreik spricht man von der Zeugungsverweigerung. Was ist das Problem der Männer?

Mazal: Dazu gibt es unterschiedliche Theorien und das Thema ist noch nicht sehr gut beforscht. Zum Teil führen das Forscherkollegen darauf zurück, dass jetzt Männer in die Familienphase treten, die selbst in Kleinstfamilien aufgewachsen sind, dementsprechend gestalten sie ihre eigene Familiengründung. Allerdings ist dieser Effekt in anderen Ländern, wo Männer ebenfalls aus Kleinstfamilien kommen nicht beobachtbar. Das ist ein statistisches Sonderphänomen in Österreich. In Österreich nimmt der Kinderwunsch der Männer signifikant ab, während das in anderen Ländern nicht der Fall ist.

derStandard.at: Warum wollen immer weniger Männer in Österreich Kinder bekommen?

Mazal: Das ist auf viele Faktoren zurückzuführen. Das mag zusammenhängen mit dem als stark männerfeindlich empfunden Scheidungsfolgenrecht. Viele Männer mögen sich denken, wenn es zu einer Scheidung kommt, sehen sie ihr Kind nicht mehr und dürfen nur mehr dafür bezahlen. Valide erforscht ist die Ursache noch nicht. Wir haben zu wenig Geld für komplexe Männerforschung in Österreich.

derStandard.at: Sie haben bei einer Podiumsdiskussion gesagt, von Männer wird einerseits erwartet, dass sie die Familie ernähren und andererseits auch ein aktives Familienleben führen. Sind sie damit überfordert?

Mazal: Die Erwartungshaltung an die Männer ist nach wie vor sehr traditionell und ist gleichzeitig angereichert mit der Erwartung, er muss sich auch um die Familie mehr kümmern. Das ist ein Spagat, den junge Männer mit Sicherheit auch ablehnen.

derStandard.at: Und was wollen die Männer eigentlich? Wollen sie arbeiten oder sich mehr um die Kinder kümmern?

Mazal: Junge Männer wollen die Erwerbsarbeit nicht aufgeben, möchten sich aber auch stark an die Familie orientieren.

derStandard.at: Was ist die Lösung?

Mazal: Männer sollten weniger in der Erwerbsarbeit tätig sein, sich dafür mehr der Familie widmen. Und umgekehrt. Frauen sollten sich mehr der Erwerbsarbeit zuwenden, dafür weniger Familienarbeit leisten. Das wünschen sich die jungen Menschen. Aber die Arbeitswelt muss ihnen das auch ermöglichen. Wenn ich im Hörsaal frage, "was erwarten Sie sich?" Sagen alle: "Wir wollen arbeiten und eine Familie gründen." Wenige Jahre später dreht sich das Bild. Der Mann ist am Überstundentrip und sagt, er muss Karriere machen, man erwartet ja von mir, dass ich viel Kohle bringe. Die Partnerin ist oft frustriert, weil sie merkt, sie wird nicht auf den Karrieretrip gelassen, weil die Familienfrage nicht gelöst ist.

derStandard.at: Sie hat keine Kinder und macht trotzdem keine Karriere?

Mazal: Sie macht trotzdem keine Karriere, weil ihr vom Arbeitgeber unterstellt wird, sie wird womöglich schwanger. Die Frage, ob die Familienplanung abgeschlossen ist, sollte kein Arbeitgeber mehr stellen. Sie ist letztlich rechtswidrig. In der Sonntagsrede geben sich Unternehmen familienfreundlich in der konkreten Handlung wird bei einer Schwangerenmeldung Panik signalisiert. Nach dem Motto: Wie stellen sie sich das vor, wie soll es weiter gehen.

derStandard.at: Egal ob eine Frau Kinder hat oder nicht, sie ist jemand, der potenziell schwanger wird oder durch Krankheit des Kindes ausfällt? So werden Frauen in der Arbeitswelt wahrgenommen?

Mazal: Ja. Und genau deshalb sollte man den Männern ermöglichen, dass sie sich um ihre Kinder kümmern. Dann reduziert sich die Problemlage für die Frauen.

derStandard.at: Wenn Familien ihre Kleinkinder extern betreuen lassen, werden die Mütter nach wie vor in unserer Gesellschaft als Rabenmütter wahrgenommen. Versagen hier nicht gerade auch konservative Politiker?

Mazal: Ich bin mir nicht sicher, ob Konservative wirklich an diesem Meinungsbild in der Gesellschaft so stark beteiligt sind. Vor zwei Jahren hat der katholische Familienband eine Veranstaltung gemacht unter dem Titel "das Ende der Rabenmütter". Manchmal sind diese angeblich so konservativen Kreise weiter, als sie in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden.

derStandard.at: Gerade die "Familienpartei" ÖVP strapaziert den Leistungsbegriff vielfach. Erzeugt man so ein gedeihliches Klima, in dem viele Kinder zur Welt kommen sollen?

Mazal: Ich sehe da kein Problem, wenn man – dies betrifft vor allem die Wahrnehmung – auch jene Leistung anerkennen würde, die in der Betreuung und Erziehung von Kindern steckt. Die Frage "arbeitest du oder bleibst du bei den Kindern" ist da sehr verräterisch, weil sie signalisiert, dass Kindererziehung keine Arbeit sei. Der Leistungsbegriff wird nur dann ein Problem für die Familie, wenn als Leistung ausschließlich die Leistung im Erwerbsprozess anerkannt wird. Das ist aber, soweit mir bekannt, gerade nicht die Linie der ÖVP.

derStandard.at: Die Wirtschaft verlangt von den Jungen Flexibilität und globale Verfügbarkeit. Auch die ÖVP gilt als wirtschaftsfreundliche Partei. Ist sie mit diesem Programm vielleicht auch ein Teil des Problems?

Mazal: Ich glaube, dass Wirtschaft und Familie nicht als gegensätzliche und nur schwer zu vereinbarende Lebensbereiche gesehen werden dürfen. Im Gegenteil: Wirtschaft braucht Familie und umgekehrt. Unternehmen müssen endlich einsehen, dass sie gute Arbeitskräfte finden, wenn sie ermöglichen, das Familienthema zu lösen. Insofern sollten Unternehmen in puncto Flexibilität mit gutem Beispiel vorangehen und jene Flexibilität, die sie von Mitarbeitern fordern, selbst unter Beweis stellen, wenn Mitarbeiter ein Familienproblem haben. Ich kenne etliche Unternehmen, denen das sehr gut gelingt, und sehe, dass sich dieser Zugang auch wirtschaftlich lohnt. In Zukunft wird es übrigens im Kampf um knapper werdende qualifizierte Mitarbeiter wichtig sein, wenn man den Arbeitnehmern ein Angebot auch unter dem Blickwinkel der Vereinbarkeit von Familie und Erwerb machen kann. So gesehen ist es wirtschaftsfreundlich, wenn man die Wichtigkeit des Familienthemas betont.

Und schließlich ist noch zu bedenken, dass "Flexibilität" zwar ein hoher Wert ist, dass es aber auch andere Werte – etwa „Stabilität" – gibt. Letztlich geht es darum, eine ausgewogene Balance zwischen diesen Werten zu finden, was auch im Interesse der Unternehmen ist: Für mich ist Wirtschaftspolitik nur dann gut, wenn sie auch für Familien gut ist. Insofern freue ich mich auch darüber, dass Bundesminister Mitterlehner derzeit wirklich versucht, Wirtschaftspolitik und Familienpolitik zu verbinden.

derStandard.at: Die Großeltern von heute sind vielfach mobiler als frühere Generationen. Sie stehen für die Betreuung ihrer Enkel nicht mehr in dem Ausmaß wie früher zur Verfügung. Welche Konsequenzen hat das?

Mazal: Tatsächlich müssen sich junge Eltern die Kinderbetreuung heute in stärkerem Maß unabhängig von ihren Eltern organisieren als früher. Dies geschieht auch insbesondere durch neue soziale Netze, etwa im Freundeskreis. Und außerdem kann man – trotz mancher Schwächen – heute doch ein viel breiteres außerfamiliales Angebot an Kinderbetreuung als früher zurückgreifen, das im Übrigen auch weiterhin mit vielen öffentlichen Geldern ausgebaut wird. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 5. Juli 2011)