Weißblonde Haare, helle Haut - Menschen mit Albinismus fallen durch ihre äußerliche Andersartigkeit auf. Die Zeiten, in denen sie als Sensation im Zirkus präsentiert wurden, sind aber längst vorbei. Das Klischee des bösen oder unheimlichen Albinos wird jedoch nach wie vor in Spielfilmen transportiert. "Matrix Reloaded" oder "Da Vinci Code" sind nur zwei von unzähligen Beispielen. Die Albinismus-Selbsthilfegruppe NOAH hat nachgezählt: Sie berichtet von 68 Filmen zwischen 1960 und 2006, in denen Albinos negativ dargestellt werden.
Definitionsgemäß steht der Albinismus für eine Gruppe von Stoffwechselerkrankungen, die durch genetisch bedingte Störungen der Melaninsynthese hervorgerufen werden. Das heißt: Jene Gene, die das Programm für die Produktion des Farbstoffes Melanin beinhalten, funktionieren nicht. "Der Farbstoff wird in mehreren Schritten hergestellt, bisher ist bekannt, dass es in vier dieser Schritte zu Störungen kommen kann", erklärt Andreas Janecke, Humangenetiker und Kinderarzt an der Uniklinik Innsbruck.
"Albus" heißt "weiß"
Melanin wird für die Pigmentierung von Haut, Haaren und Iris sowie für die Entwicklung von Augen und Sehbahn gebraucht. Ein Mangel an Melanin führt zu weißblonder Kopf- und Körperbehaarung, außerdem kann die Iris blau, blau-grau oder grün-braun, die Haut hell sein. Daher kommt auch der Begriff Albinismus: Er leitet sich vom lateinischen Wort "albus" ab, was so viel wie "weiß" bedeutet. Dass Menschen mit Albinismus rote Augen haben ist aber ein Irrtum. Sie erscheinen dann rot, wenn Licht, das ins Auge fällt, von der durchbluteten Netzhaut reflektiert wird und durch die pigmentarme Iris herausstrahlt.
Je nachdem, welcher Teilprozess in welchem Ausmaß bei der Melaninbildung betroffen ist, kann die Pigmentstörung unterschiedlich ausgeprägt sein. Beim okulokutanen Albinismus sind sowohl Augen als auch Haut betroffen. Die okuläre Variante betrifft nur die Augen. Darüber hinaus gibt eine Reihe von Syndromen, die mit dem Albinismus einhergehen können, wie das Hermansky-Pudlak-Syndrom oder das Chediak Higashi-Syndrom.
Probleme mit den Augen
Nicht allen Menschen ist der Albinismus auf den ersten Blick anzusehen. Und es sind nicht vorrangig die Äußerlichkeiten, die den Betroffenen zu schaffen machen, sondern funktionelle Beeinträchtigungen. Eines haben alle gemeinsam: Sie leiden an Augenproblemen. Die Ursachen liegen im fehlenden Melanin, das Augen und Sehbahn für die Entwicklung benötigen. Die Folgen sind Lichtempfindlichkeit der Augen, Störungen des räumlichen Sehens und eine verminderte Sehschärfe. Nicht bei allen ist die Sehkraft jedoch gleichermassen stark eingeschränkt: Während manche Betroffene fast blind sind, können andere mit einer Brille fast normal sehen.
Zur dieser Lichtempfindlichkeit kommt es deshalb, weil das Pigmentblatt hinter der Iris fehlt oder Lücken hat. Dadurch wird die Iris transparent und durchleuchtbar. "Die Betroffenen sind blendungsempfindlicher, sie haben das Gefühl, ständig von Licht überflutet zu sein", erklärt Janecke.
Sehbahn ist umorganisiert
Das räumliche Sehen wird beeinträchtigt, weil mehr Sehnervenfasern als üblich zur gegenüberliegenden Gehirnhälfte kreuzen. "Normal sind es rund 50 Prozent der Fasern, beim Albinismus sind es 70 bis 80, in seltenen Fällen bis zu 100 Prozent", erklärt Theresia Keindl, Leiterin der Sehschule an der Augenklinik Salzburg. Die gesamte Sehbahn ist anders organisiert: Ins Sehzentrum der beiden Gehirnhälften wird jeweils nicht nur die Information des gegenüberliegenden Gesichtsfeldes projiziert, sondern zum Teil auch jene des Gesichtsfeldes auf derselben Seite. Das könnte auch ein Grund dafür sein, warum Menschen mit Albinismus eher zum Schielen geneigt sind - was ebenfalls das räumliche Sehen beeinträchtigen kann.
Dass die Betroffenen weniger scharf sehen liegt daran, dass die Fovea centralis, die Netzhautstelle des schärfsten Sehens, nicht oder nur unvollständig ausgebildet ist. Ihre Entwicklung ist ebenfalls von der Melaninproduktion abhängig. "Man kann sich die Fovea wie einen dichten Raster aus sehr vielen Zapfen vorstellen, mit dem man sehr gut Bilder aufnehmen kann", erklärt Keindl. Bei Menschen mit Albinismus ist die Zapfendichte aufgrund des fehlenden Melanins reduziert, das Auflösungsvermögen - und damit die Sehschärfe - sinkt.
Augenzittern mögliches Anzeichen
Zur Diagnose: Durch die nicht ausreichend vorhandenen Zapfen sind auch weniger Nervenzellen vorhanden, um die Impulse an das Gehirn weiterzuleiten. Das Gehirn erhält in der Folge kein ausreichend gutes Bild zur Interpretation. Deshalb kann sich im frühen Säuglingsalter die Fixationsfähigkeit nicht optimal entwickeln. Das führt dazu, dass die Augen unwillkürlich hin- und herzittern, was ein erstes Anzeichen für Albinismus sein kann.
Um eine Diagnose zu stellen, wird die Iris daher im nächsten Schritt auf ihre Durchleuchtbarkeit überprüft. Das fehlende oder lückenhafte Pigmentblatt hinter der Iris lässt die Pupille und Iris rot erscheinen, wenn sie direkt angeleuchtet werden. "Auch eine schwach entwickelte oder nicht vorhandene Fovea ist ein starker Hinweis auf Albinismus", erläutert Keindl. Ein weiteres mögliches Merkmal ist die hypoplastische Papille: Der Sehnervenkopf, an dem sich die Fasern hinter dem Auge sammeln, ist auffällig klein, blass oder kaum zu erkennen.
Erhöhte Sonnenbrand-Gefahr
Menschen mit okulokutanen Albinismus fehlt es nicht nur in den Augen, sondern auch in der Haut an Melanin. Durch die helle Hautfarbe sind das Risiko eines Sonnenbrandes und in der Folge das Hautkrebsrisiko erhöht. "Das kommt natürlich auf den Schweregrad an, manchen Betroffenen würde man raten, nicht einmal eine Viertelstunde im Freibad zu verbringen, anderen macht die Sonne wenig aus", so Janecke.
Albinismus wird in der Regel autosomal-rezessiv vererbt. Das heißt: Die "Krankheit" kommt nur dann zum Ausbruch, wenn sowohl vom Vater als auch von der Mutter eine veränderte Genkopie vererbt wird. Die Eltern sind in der Regel nicht selbst betroffen, weil sie neben der veränderten Kopie auch eine "normale" in sich tragen. Sie "lagern" das rezessive Gen lediglich und können es weitervererben. Erbt das Kind von beiden Elternteilen das veränderte Gen, kommt es zum Albinismus.
Darüber, wie häufig Albinismus vorkommt, gibt es keine genauen Zahlen. Verbreitet ist die Auffassung, dass weltweit ungefähr ein Mensch von 20.000 betroffen ist. Für Österreich würde das bedeuten, dass hier rund 400 Betroffene leben. (Maria Kapeller, derStandard.at, 20. Juli 2011)