Elite-Insel immer im Blickfeld: Sveti Stefan

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Wer will mich?

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Das Zavala-Projekt bei Budva

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"Die Stimmung ist schlecht": Vukica Dabovic

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Besuch aus der Ukraine: Flughafen von Tivat

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Innenstadt von Budva

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"Für mich ist das ein Mini-Venedig", sagt Piedro Degle

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Freuen sich über Gäste-Zustrom: Kellner im "Galeb" in Budva

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Fettet sich sein Lehrergehalt auf: Wassertaxler Lazar

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Wer sich im Auto, erschlagen von Hitze und dem kratzerlosen Blau der östlichen Adria die Küste Montenegros entlangschlängelt, bekommt nicht nur weiche Knie von todesmutigen Überholmanövern des Gegenverkehrs, sondern auch viele, bunte Einladungen. „Kauf mich!" brüllt es von großflächigen Plakaten, „Miet mich!", „Zieh bei mir ein!", auf Englisch und Russisch.

"Heute ist das verboten"

Es sind Häuser und Appartments, für die hier geworben sind. Häuser wie das gigantische Zavala-Projekt bei Budva, ein grässlich-grauer Rohbau, der seit Jahren gähnend darauf wartet, dass ihm jemand Fenster, Innenwände und ein Dach verpasst. Vergeblich. Die russische Baufirma, die mit den noblen Appartments an Montenegros Badeurlaubs-Epizentrum reich werden wollte, ist inzwischen in Konkurs, der Chef verschollen, und die halbe Stadtregierung Budvas sitzt wegen unsauberer Geschäfte mit dem russischen Investor in Untersuchungshaft. „Früher hast du Politikern Geld geben können und dafür eine Baugenehmigung bekommen - heute ist das verboten", erklärt uns der Budvaer Boottaxifahrer Lazar, als handle es sich beim Anti-Korruptionskampf nur um eine weitere verrückte Modeerscheinung, die das Land auch noch überleben werde.

Wie auch immer: Der Herr Bürgermeister wartet hinter Gittern auf sein Gerichtsverfahren, der Zavala-Rohbau auf seine Fertigstellung, und die Hoteliers auf den tosenden Gästeansturm. Es ist Ende Juni, der Himmel strahlt, das Meer ist blitzblau und sauber, und die Wassertemperatur genau richtig für ein erfrischendes Bad. Was will man mehr?

Grilltomaten adé

„Es ist hier nicht mehr so wie früher", stöhnt Vukica Dabovic, eine Dolmetscherin im Tourismusgeschäft aus Kostancija in der inneren Kotor-Bucht. Früher, das war, bevor die russischen Investoren kamen, oder genauer gesagt, bevor Montenegro ein eigener Staat wurde. Dabovic war damals Fremdenführerin, die Strände waren voll von Grilltomaten. So nannte man die Urlaubsgäste aus Serbien - einerseits, weil sie bald selbst aussahen wie in Öl konservierte Trockenparadeiser, aber auch, „weil sie am Strand Tomaten und Speck gegessen haben", erzählt Dabovic.

Mit anderen Worten: Die StrandtouristInnen von früher legten wenig Wert auf gehobene Gastronomie. Das freute die kleinen Unterkünfte: „Die serbischen Gäste waren nicht anspruchsvoll, mit einem Bett und ein bisschen Wasser waren sie schon zufrieden." Keine Rede von Wellnessbereich und Wireless-LAN. Heute hingegen setze die Politik auf reichere Gäste, dadurch werde alles teurer, und die Tomatengäste aus Serbien und Bosnien würden lieber in der Türkei oder in Griechenland pauschalurlauben, das käme billiger, sagen viele.

Geld reinwaschen

Eine andere Gästegruppe hat sich dafür in den letzten zehn Jahren breit gemacht: reiche RussInnen, die sich, so die Mär, am Moskauer Flughafen den Appartmentschlüssel in die Hand geben, sich hier in den eigenen vier Wänden einschließen und, so Dabovic, "den lokalen Geschäftsleuten wenig bringen". Man spricht von Geschäftsleuten aus Moskau, die hier Bestechungsgelder reinwaschen - indem sie widerum montenegrinische Politiker bestechen, auf dass sie unerschwingliches Grünland in erschwingliches Bauland verzaubern. Das Ergebnis lässt sich schwer übersehen: Betonklötze, wo früher unberührte Waldhügel oder Küstenflecken waren, zeugen von großteils ausländischer Lust am ungezügelten Investieren.

„Ein Verbrechen an Montenegro", anders könne man diese Bauten nicht bezeichnen, ärgert sich der ansonsten sichtbar tiefentspannte Piedro Degle, ein Rentner aus München. „Diese Russen-Ruinen haben viel zerstört." Der braungebrannte 70-Jährige sitzt gerade gut geschützt vor der bissigen Mittagssonne unterm breiten Schirm der Strandbar, schlürft seinen Fruchtsaft, und stopft sich die nächste Pfeife.

Seit sechs Jahren kommt er für jeweils zwei Monate nach Budva. „Die Stadt ist für mich ein Mini-Venedig - nur nicht so teuer und nicht so hochnäsig", schwärmt der gebürtige Italiener. Allzu gern schildert er sein erstes Rendezvous mit der montenegrinischen Riviera. Mit dem Auto im nahen, kroatischen Urlaubsmagneten Dubrovnik gelandet, hatte er die Nase voll. Zu überlaufen, zu schick, zu künstlich sei ihm Dubrovnik erschienen, also fuhr er weiter, Richtung Südosten. "Na, schau ma mal", sagte er sich, als er die Grenze nach Montenegro passierte. Und siehe da: Saubere Strände taten sich auf, günstige Zimmer, und was das beste war: In Montenegro gilt der Euro. "Ich hab meinen Augen kaum getraut, dass ich da gar nix umrechnen brauch'." 

"Ein bisschen primitiver"

Als Stammgast kann er heute noch auf billige Tarife zählen. Doch vieles hat sich verändert. "Wenn man nur wenige Tage bleibt, zahlt man das Drei- bis Vierfache". Dazu kommt, dass zunehmend neue Gästeschichten die hübsche Küste entdecken. Juli und August sind für Degle deshalb Tabu. "Da kommen die Jugendlichen und feiern Party, das ist nichts für mich." Da nimmt er lieber zwei Mal drei Tage Autoanreise in Kauf - jeweils Anfang Juni und Anfang September. "Ja, Budva hat sich schon verändert", sagt Degle. Er treffe jetzt mehr Gäste, deren Sprache er auch verstehe - nicht mehr nur RussInnen und SerbInnen, sondern auch Urlaubende aus Frankreich, Deutschland, Italien. "Mondäner ist es geworden, offener", sagt Degle. "Aber auch ein bisschen primitiver."

"Viel Fleisch" für die Ösis

Dass nun mehr „westliche" Gäste hier urlauben, freut auch die Gastronomie. Hier, mitten in einer der engen, steingepflasterten Gassen der Budvaer Altstadt, steht ein Kellner im gepflegten Hemd-Gilet-Kombi und begrüßt PassantInnen auf Italienisch, Englisch, Französisch. Noch. „Jetzt ist noch nicht so viel los", erklärt Predrag Nikolic, der in der traditionsreichen Konoba Galeb serviert. „Bald müssen Sie vorher anrufen, um bei uns Abendessen zu können", erzählt Predrag Nikolic, Kellner im „Galeb". Mehr Gäste, mehr Trinkgeld - das sei der Trost dafür, dass weniger russische Gäste hier dinieren, sagt Nikolic. Trost? Der 29-Jährige hält sich die Hand vor den Mund: „Die bestellen zwei Hummer und Dom Perignon zur Vorspeise" - saftiges Trinkgeld inklusive. Die wenigen österreichischen Gäste hingegen ordern „Hauptsache viel Fleisch", sagt Nikolics Kollege und grinst. Das macht die Gäste voll, das Lokal hingegen nicht reich.

Bleiben die russischen Urlauber, nachdem sie die Küste mit Häusern vollgepflastert haben, nun also zu Hause? Nein. Aus Russland kommen mehr Gäste als aus Italien, Frankreich, England und Deutschland zusammen. Hinter den serbischen Gästen sind sie Herkunftsmarkt Nummer zwei. Doch, so erzählt man sich, bleiben sie lieber unter ihresgleichen, im Appartement, auf der Yacht. Gleichzeitig hört man am Strand immer mehr Menschen Italienisch, Französisch, Deutsch sprechen. 

Bootstaxi statt Klassenzimmer

Noch vor zwei Jahren hieß es, der Tourismus Montenegros sei bald bankrott. Heute sieht es nicht danach aus. Wer in Montenegro etwas verdienen will, muss an die Küste. Arbeitslose aus dem Norden des Landes bekommen hier einen Job. Und auch die Locals mischen im Urlaubsgeschäft mit und bessern sich so ihr Salär auf. Bootstaxifahrer Lazar ist jeden Sommer mit dabei. Mit seinem kleinen Motorboot kutschiert der 34-Jährige mit dem lässigen Schirmkäppi badehungrige Gäste von Budva auf die nahe gelegenen Insel Sveti Nikola und zurück - und kassiert dabei an einem Tag manchmal dasselbe wie als Volksschullehrer im ganzen Monat. „Es könnte schlechter gehen", sagt Lazar betont gelassen.

50 km/h und kein Ende

Der Euro rollt, hier an der Steilküste mit den vielen kleinen Buchten und dem traumhaft blauen Meer. Wohin er rollt, sorgt aber weiter für Kritik. Über schauderhaften Bauprojekten von Privatinvestoren wurde vergessen, nebenbei auch an die nötige Infrastruktur zu denken. Kanalsystem? Gibt es in vielen Orten nicht. Internet? Wer das gewünschte Hotel im Internet besichtigen will, kann lange suchen. Flugverbindungen? Ja, die gibt es - wer aber denkt, von der knapp 60 Kilometer entfernt gelegenen Hauptstadt Podgorica mit dem Auto in einer Stunde in Budva zu sein, irrt: An der übervollen Küstenstraße kommt man mit durchschnittlich fünfzig Stundenkilometern voran. Dazu kommt, dass es zwar massenhaft leerstehende Häuser gibt, aber dennoch zu wenige Unterkünfte.

Immer mehr, immer teurer

Die Regierung hat in ihrem „Tourismus-Masterplan" deshalb Großes vor: Bis 2020 soll die Zahl der Hotelbetten in der Region auf 280.000 steigen - von derzeit geschätzten 150.000. Der Großteil soll im gehobenen Preisbereich angesiedelt sein.

UmweltschützerInnen raufen sich die Haare angesichts dieser Pläne. Immer noch wandern Abwasser hektoliterweise ungefiltert ins Meer. Immer noch werfen BewohnerInnen ihren Plastikmüll lieber ins Gelände, als ihn zu entsorgen. Immerhin klappt die Wasserversorgung jetzt besser als früher - doch auch dafür musste der nördliche Skadar-See angezapft werden, was Fisch- und VogelschützerInnen aufschreien ließ. Doch langsam zeichnet sich ein Wandel ab.

Nicht alles ist sauber

Vorzeige-Gemeinden wie Perast und Kotor, an der Inneren Bucht von Kotor, arbeiten sachte am Ortsbild, renovieren traditionelle Bauten und lassen Architektursünden wenn, dann nur an der Peripherie zu. Während in italienischen Tourismuszentren Zweitakter die Innenstadt verstinken dürfen, ist Motorverkehr hier Tabu. Und nach und nach beginnt das dringend nötige Kanalnetz dichter zu werden.

Sauberes Wasser ist schließlich der wichtigste Tourimusfaktor des Landes. Der wichtigste Politikfaktor des Landes hingegen ist sauberes Geld. Weiterhin gilt Montenegro als beliebte Insel für Geldwäsche und unsaubere Geschäfte. Dass Budvas Bürgermeister wegen Korruption im Gefängnis landete, ist für die meisten kein Hoffnungsschimmer, sondern Ausdruck eines Machtkampfs zwischen Ex-Präsident Milo Djukanovic und seinem Erzrivalen, dem Bruder des Budvaer Bürgermeisters, Svetozar Marovic.

Neue Baupläne

"Die Stimmung in der Bevölkerung ist schlecht", glaubt Vukica Dabovic. Niemand wisse so genau, was aus den Bauruinen werde. „Es wurde so viel gebaut. Wenn die Wohnungen alle verkauft sind und diese Menschen alle gleichzeitig Schwimmen gehen, dann ist das Meer voll." Die Regierung sieht darüber hinweg. Dass die besten Locations am Meer leerstehen, ungenutzt und oft unversteuert, scheint sie nicht sonderlich zu kümmern. Sie hat bereits andere Liegenschaften im Visier. "Wir haben so viele Militärflächen", schwärmt Vize-Tourismusminister Nebojsa Popovic gegenüber dem britischen "Independent": "Militärflächen sind die schönsten Flächen." (Maria Sterkl, derStandard.at, 11.7.2011)