„Die Verhandlungen in Zivil- und Strafrechtssachen vor dem erkennenden Gericht sind … öffentlich“ (Art 90 Abs 1 Bundes-Verfassungsgesetz). Die damit gemeinte Volksöffentlichkeit soll der Allgemeinheit die Möglichkeit zur Kontrolle der Gerichtsbarkeit einräumen – Justizorgane erfüllen ihre Aufgaben gewissenhafter, wenn sie wissen, dass sie kontrolliert werden (können). Die Volksöffentlichkeit wird seit langem in erster Linie durch Massenmedien hergestellt.

Journalisten dürfen wie jedermann solche Verhandlungen besuchen. Und sie dürfen frei über diese Verhandlungen berichten:  Art 10 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention garantiert nicht nur die freie Meinungsäußerung und die Wiedergabe von Informationen auch und gerade durch Journalisten, er schützt Medien auch gegen Behinderung durch aktive Eingriffe von Staatsorganen bei der Beschaffung und Ermittlung öffentlich zugänglicher Informationen. Diese Medienfreiheit darf allerdings per Gesetz eingeschränkt werden, unter anderem soweit es zum Schutz der Rechte anderer in einer demokratischen Gesellschaft „unentbehrlich“ ist (Art 10 Abs 2 EMRK).

Das in § 228 Abs 4 Strafprozessordnung normierte Verbot von Fernseh- und Hörfunkaufnahmen während der Hauptverhandlung eines Strafgerichts und das Verbot der direkten oder späteren öffentlichen Ausstrahlung dieser Aufnahmen ist solch eine zulässige und gesetzlich vorgesehene Einschränkung für audiovisuelle Medien. Hauptzweck dieses Verbots ist der Schutz der Persönlichkeitsrechte der Angeklagten, Zeugen, Sachverständigen und sonst am Verfahren Beteiligten: Sie alle sollen nicht, ohne sich dagegen wehren zu können, aus Informations- oder aus Unterhaltungsinteresse zu Schau(- und Hör)objekten werden. Ein Nebenzweck des Aufnahmeverbots ist auch der Schutz der Ordnung im Gerichtssaal, die nicht durch Kameras, Scheinwerfer usw gestört werden soll.

Nicht umfasst von diesem gesetzlich vorgesehenen Verbot sind das wörtliche Mitschreiben von Äußerungen der Verfahrensbeteiligten durch Journalisten und sonstige Zuhörer; und das Publizieren dieser Texte. Und zwar unabhängig davon, ob die Texte direkt aus dem Gerichtssaal in „Livetickern“ (News, Kleine Zeitung hier; derStandard.at im Tierschützerprozess) oder in „Tweets“ von Benützern des sozialen Netzwerks „Twitter“ im Internet gepostet werden; oder erst später in Zeitungen veröffentlicht werden.

Als zweiten Grund für das Verbot der „Liveberichterstattung“ aus dem Gerichtssaal soll der Einzelrichter die Verhinderung der Beeinflussung von den Zeugen genannt haben, die noch vor dem Verhandlungssaal auf ihre Vernehmung warten und nichts von den bisherigen Verfahrensergebnissen erfahren sollen. Dazu muss der Richter, der die Verhandlung leitet, „die nach den Umständen erforderlichen Vorkehrungen“ veranlassen (§ 241 Abs 1 StPO). Der Gefahr der unzulässigen Beeinflussung von Zeugen während laufender Hauptverhandlungen hätte der Richter aber auch dadurch begegnen können, dass er den Zeugen bis zu ihrer Vernehmung die Benützung des Internet verbietet und die Einhaltung dieses Verbots, wenn es sein muss, auch überwachen lässt: Das wäre auch eine zielführende und, weil ein gelinderes Mittel, eine verhältnismäßige und vor allem eine gesetzlich vorgesehene Maßnahme gewesen.

Durch das Verbot der „Liveberichterstattung“ durch Journalisten und Twitterati, die beim Verfassen und Posten ihrer Texte die Verhandlung auch akustisch nicht stören, hat der Einzelrichter des Landesgerichts Klagenfurt – ohne jede Not – sehr wahrscheinlich das in Art 10 EMRK und so verfassungsrechtlich verankerte Recht auf freie Meinungsäußerung und auf Medienfreiheit verletzt, und zwar schon deshalb, weil dieses Verbot in Österreich gesetzlich gar nicht vorgesehen ist; und auch nicht durch Analogie aus dem Verbot der Fernseh- und Hörfunkaufnahmen und der Ausstrahlung dieser Aufnahmen abgeleitet werden kann: Die rein auf Texte beschränkte (direkte oder spätere) Berichterstattung über die Äußerungen der Verfahrensbeteiligten während einer Hauptverhandlung stellt keinen Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte dar, die diesen Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft „unentbehrlich“ machte. (Andreas Scheil, derStandard.at, 6.7.2011)