Die Kinder sollen sich im Rahmen der Pferdetherapie mit den Pferden entspannen, ihre Freizeit genießen, etwas Schönes erleben, das ihnen auch im Nachhinein, als Erinnerung, Freude bereiten kann.

Foto: Iris Ullmann

"In der Therapie wird von den Kindern nichts gefordert, es wird ihnen nur der Schutzrahmen geboten", erklärt die Psychotherapeutin Claudia Baldeo.

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Traumatische Erlebnisse in Worte zu fassen, ist für Erwachsene mitunter schon schwer genug. Für Kinder ist das manchmal ganz unmöglich. Daher eignen sich Therapieformen mit Tieren besonders gut für Flüchtlingskinder, die sich, selbst wenn sie sehr gut integriert sind, von ihren SchulkollegInnen maßgeblich unterscheiden: Die erlebte Flucht, die Zeugenschaft von Gewalt und Vernichtung bewirken, dass diese Kinder abseits vom Schulalltag auch eine andere Realität kennen, die sie mit ihren Altersgenossen nicht teilen können.

Die Psychotherapeutin Claudia Baldeo arbeitet seit 2009 mit Flüchtlingskindern in Tirol. Zwei Faktoren gaben den Anstoß, ein solches Projekt ins Leben zu rufen, erzählt Baldeo, die im Zentrum für Interkulturelle Psychotherapie "Ankyra" in Innsbruck als Psychotherapeutin angestellt ist: "Mein Hund war manchmal mit mir im Büro, und die Klienten haben auf seine Präsenz unterschiedlich reagiert, der Hund hatte verschiedene Funktionen für die Menschen. Dann hatte ich einen Klienten, der davon träumte, ein Pferd zu reiten. Er schaffte es auch, sich diesen Traum zu erfüllen. Von seinem Flüchtlingsheim aus suchte er Reitställe auf, bat darum, Pferde putzen und reiten zu dürfen, und schließlich lieh er sich sogar eine Pferdekutsche aus und drehte alleine eine Runde um den See."

Heilungspotential

Als Claudia Baldeo und die Leiterin von "Ankyra", Verena Schlichtmeier erkannten, wie viel Heilungspotential im Umgang mit Pferden steckte, reichten sie die Reittherapie für Flüchtlingskinder als Projekt beim Europäischen Flüchtlingsfonds ein. Der Antrag wurde bewilligt, das Projekt wird inzwischen auch vom Bundesministerium für Inneres, Land Tirol und auch durch Spenden von Swarowski unterstützt.

Mensch und Pferd

"Es gibt eine enge kulturhistorische Verbindung zwischen Mensch und Pferd, über Generationen hinweg, so ähnlich wie zwischen Mensch und Hund. Wir Menschen sind länger mit dem Pferd gefahren als mit dem Auto, und in vielen Weltgegenden ist es nach wie vor eine Frage von Status und Ehre, auf einem Pferd reiten zu dürfen", erläutert Baldeo. In Tirol, wo die Bauernschaft Ansehen genießt, ist das Züchten und Besitzen von Pferden auch heute noch von großer Bedeutung.

Die Reittherapie macht es für die Flüchtlingskinder möglich, in Räume vorzudringen, die ansonsten tendenziell geschlossen und abgeschirmt sind. "Es tut auch den Tirolern gut, sich mit Flüchtlingen zu befassen", ist Baldeo überzeugt. "Kinder sind gute Botschafter, weil sie Barrieren leichter überwinden", fügt sie hinzu. Über die Kinder erhalten auch die Eltern Zugang zu Reithöfen, wodurch die Kinder im wahrsten Sinne des Wortes eine Vorreiterrolle übernehmen.

Getragen und gewogen

Die Reittherapie findet als wöchentliches Gruppenangebot über sechs-sieben Wochen im Sommer statt. Die Kinder sollen sich mit den Pferden entspannen, ihre Freizeit genießen, etwas Schönes erleben, das ihnen auch im Nachhinein, als Erinnerung, Freude bereiten kann. Auch Sprachschwierigkeiten können in der Kommunikation mit Pferden für eine Weile vergessen werden. Baldeo beschreibt die Wirkung der Arbeit mit Pferden so: "Pferde sind starke Kommunikatoren und reagieren sensibel auf Körpersprache. Durch das Getragenwerden fühlen sich die Kinder wieder in die Welt hineingewogen, und das ist wichtig für die Entwicklung des Urvertrauens. Sich getragen fühlen, aber auch sich ausprobieren dürfen, eigene Ängste spüren dürfen, ohne dass es Konsequenzen gibt. In der Therapie wird von den Kindern nichts gefordert, es wird ihnen nur der Schutzrahmen geboten."

Instinktive Schutzhaltung

Die Pferde, die in der Reittherapie zum Einsatz kommen, müssen ein gutartiges und ruhiges Wesen haben, verlässlich, stressresistent und für Kinder ansprechend sein. Als sensible Wesen sind Pferde durchaus in der Lage, zwischen Reiten und Reittherapie zu unterscheiden. Sie reagieren anders, wenn es nicht ums Reiten geht, sondern um die Begegnung mit Menschen. Baldeo: "Pferde nehmen sich bei Kindern instinktiv zurück, agieren vorsichtiger und nehmen eine Schutzhaltung ein." Außerdem nehmen Pferde die Bedürftigkeit bei Menschen wahr. Im Falle von Flüchtlingskindern nehmen Pferde daher laut Baldeo "eine doppelte Schutzhaltung" ein. (Mascha Dabić, 07. Juli 2011, daStandard.at)