Rot-Schwarz-Grün statt einheitlich Grün: Die Farben des befreiten Ostteils Libyens erinnern an die monarchistische Vergangenheit des Landes vor Muammar al-Gaddafis Machtergreifung.

Foto: STANDARD/Astrid Frefel

Unterdessen wälzt der Nationale Übergangsrat bereits Pläne für die Zeit nach Gaddafi.

*****

"Keine Show, keine Fälschung - das ist eine echte Demonstration", steht auf einem der vielen Plakate auf dem Platz der Freiheit vor dem alten Gericht von Bengasi, dem Epizentrum der libyschen Revolution des 17. Februar. Der "Marsch der Millionen" in Bengasi soll die Antwort auf die andernorts inszenierte Unterstützung für Muammar al-Gaddafi sein.

Zu dieser Solidaritätskundgebung in Bengasi hatten deshalb auch die Aktivisten der "Freien Generation" aus Tripolis aufgerufen, die im Untergrund arbeiten müssen. Sie leben gefährlich: Über 40.000 Personen wurden dort in den vergangenen Monaten verhaftet.

Die Demonstranten sind aus allen Richtungen der befreiten Gebiete nach Bengasi gekommen - von Ajdabiya bis Tobruk. Es sind ganze Familien, und die revolutionäre Euphorie der ersten Tage ist wieder zu spüren. "Das Volk will die Todesstrafe für den Führer!" , skandiert eine Gruppe Frauen - und meint damit Gaddafi. Lange Fahnen in den rot-schwarz-grünen Farben des befreiten Libyen werden mitgeführt.

Tripolis ist ganz nah

Tripolis ist zwar am Landweg 1000 Kilometer entfernt - aber für viele hier ganz nah: Sabha hat Tränen in den Augen, wenn sie von ihrem Sohn spricht, vom dem sie schon monatelang nichts mehr gehört hat. Lutfi, ein Erdöl-Ingenieur, kann zwar mit seiner Familie in Tripolis telefonieren - aber sagen, wie es ihnen wirklich geht, das können sie nicht. Dazu ist die Angst zu groß.

In Bengasi haben die Menschen das Gefühl, dass das Ende des Diktators naht - noch vor oder während des Ramadan, sind viele überzeugt. Der Fastenmonat, der heuer Anfang August beginnt, ist der wichtigste Zeitabschnitt im Kalender der Muslime und traditionell die Zeit von Kriegen und wichtigen Entscheidungen.

Diese Überzeugung wird gestützt von Meldungen, dass die Rebellen bereits 50 Kilometer vor Tripolis stehen sollen. "Sie rücken aus fünf Richtungen vor" , erklärt Juma Ifhima die Strategie. Zugrunde liegt die Idee, dass sich die betroffenen Städte und Dörfer selbst befreien - das sei wichtig für das Selbstwertgefühl, betont der Berater von Mustafa Abdul Jalil, dem Vorsitzenden des Nationalen Übergangsrates. Hilfe kommt von außen, etwa in Form von Waffen.

Warum herrscht an der Front bei Brega Stillstand? Weil das ganze Gebiet laut Nato-Luftaufnahmen vermint sei, erläutert Ifhima.

Der Übergangsrat arbeitet indes mit Hochdruck an den Plänen für die "Stunde null" in Tripolis: 15.000 Kämpfer stünden bereit, erklärt Ifhima. Ihnen kommt die Aufgabe zu, die Stadt zu sichern, die beim Fall Gaddafis komplett abgeriegelt und mit einer totalen Ausgangssperre belegt werden soll. Die Karten mit allen Check-Points seien bereits gezeichnet, die Verantwortlichen benannt. Für ein paar Tage wird sich niemand frei bewegen dürfen.

Zum Plan gehört auch die Sicherstellung der Versorgung - das heißt genügend Lebensmittel, Medizin und Treibstoff müssen in die Nähe der Stadt gebracht werden.

Und mit London ist man in Verhandlungen über den Transfer eines dreistelligen Millionenbetrages an libyschen Dinar, die vor der Revolution in England gedruckt aber noch nicht ausgeliefert worden sind. Sie sollen nach Libyen gebracht werden, um die Versorgung der Bevölkerung mit Zahlungsmitteln sicherzustellen. (Astrid Frefel aus Bengasi/DER STANDARD, Printausgabe, 8.7.2011)