Paris - Der für Regierungsmitglieder zuständige französische Gerichtshof der Republik hat seine Entscheidung über ein mögliches Ermittlungsverfahren gegen die neue IWF-Chefin und bisherige Finanzministerin Christine Lagarde vertagt. Als neuer Termin wurde am Freitag der 4. August genannt. Grund für den Aufschub sei der Ausfall eines Mitglieds des sogenannten Antragsausschuss, erklärte der Gerichtshof. Er habe zu spät erklärt, dass er sich aus Gründen der Befangenheit zurückziehen müsse. Unterdessen nahm die französische Justiz gegen Lagardes Vorgänger Dominique Strauss-Kahn wegen des Vorwurfs der versuchten Vergewaltigung einer französischen Autorin polizeiliche Ermittlungen auf.

Die Staatsanwaltschaft Paris leitete am Freitag Vorermittlungen gegen Strauss-Kahn ein, nachdem die Schriftstellerin Tristane Banon ihn am Dienstag angezeigt hatte. Es handelt sich dabei noch nicht um ein formelles Ermittlungsverfahren. Die 32-jährige Banon zeigte den im Mai zurückgetretenen Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) an, weil er bei einem Interview im Jahr 2003 versucht habe, sie zu vergewaltigen. In einer Fernsehsendung vor mehreren Jahren hatte die Autorin gesagt, Strauss-Kahn sei damals wie ein "brünftiger Schimpanse" über sie hergefallen. Der Name des Spitzenpolitikers war in der Sendung ausgeblendet worden.

Banon erklärte diese Woche, sie habe den 30 Jahre älteren Strauss-Kahn seinerzeit nicht angezeigt, weil sie als damals 23-jährige Praktikantin kaum Chancen gesehen habe, gegen das politische Schwergewicht anzukommen. Auch in ihrem Umfeld sei ihr abgeraten worden, rechtlich gegen den einflussreichen Politiker vorzugehen.

Nach Banons Anzeige am Dienstag musste die Pariser Staatsanwaltschaft entscheiden, ob sie Vorermittlungen aufnimmt, ein förmliches Ermittlungsverfahren einleitet oder den Fall einstellt. Versuchte Vergewaltigung verjährt in Frankreich nach zehn Jahren - sollte es zu einem Prozess kommen, drohen Strauss-Kahn 15 Jahre Haft. Tatsächlich dürfte es aber schwierig sein, nach acht Jahren noch Beweise für die angebliche Tat zu erbringen, zumal es keine Zeugen gab. Ihrem Anwalt zufolge halten sich allerdings "zahlreiche Personen" zur Aussage bereit. Nach dem Vorfall im Februar 2003 seien unter anderem mehrere SMS gesendet worden, sagte Banons Anwalt David Koubbi. Medienberichten zufolge schickte Strauss-Kahn der jungen Banon damals im Anschluss an den Vorfall eine Kurzmitteilung.

Der zurückgetretene IWF-Chef drohte der Autorin diese Woche über seine Anwälte mit einer Verleumdungsanzeige. In den USA ist der 62-Jährige angeklagt, weil er ein New Yorker Zimmermädchen zum Oralsex gezwungen und gewaltsam versucht haben soll, mit ihr Geschlechtsverkehr zu haben. Das Verfahren könnte aber möglicherweise eingestellt werden, weil Zweifel an der Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers aufgekommen sind.

Die ehemalige Wirtschaftsministerin Lagarde wird wegen ihrer Verwicklung in eine Affäre um den französischen Skandalunternehmer und Ex-Minister Bernard Tapie kritisiert. Die Staatsanwaltschaft verdächtigt Lagarde des Amtsmissbrauchs, weil sie in einem Rechtsstreit mit dem ehemaligen französischen Minister und Geschäftsmann 2008 einem Schiedsurteil zustimmte, das diesem eine Abfindung in Höhe von 285 Mio. Euro einbrachte. Die ungewöhnliche hohe Entschädigung für den früheren Adidas-Chef im Streit über den damaligen Verkauf des deutschen Sportartikelherstellers schlug hohe Wellen. Der Unternehmer gilt als Freund von Präsident Nicolas Sarkozy. Lagarde hat die Vorwürfe zurückgewiesen. "Ganz egal wie das Gericht entscheidet, ich empfinde Zuversicht und innere Ruhe", versicherte die Ex-Ministerin.

In Frankreich läuft am Mittwoch die Meldefrist für die Kandidaten der sozialistischen Opposition ab, die nächstes Jahr bei der Präsidentschaftswahl antreten und sich für die parteiinterne Vorwahl im Herbst aufstellen lassen wollen. Vor seiner Festnahme in New York vor knapp zwei Monaten und seinem anschließenden Rücktritt von der Spitze des IWF hatte "DSK", wie Strauss-Kahn in Frankreich genannt wird, als aussichtsreichster Anwärter auf das Amt gegolten.

In einer am Freitag veröffentlichten Umfrage von Opinionway für den konservativen "Figaro" gaben 44 Prozent der Befragten an, Strauss-Kahn würde "einen guten Präsidenten" abgeben - eher sogar als Oppositionsführerin Martine Aubry, die als Kandidatin bei der Vorwahl antritt und in der Umfrage nur auf 41 Prozent kam. Allerdings lag der frühere Chef der Sozialistischen Partei (PS), Francois Hollande, mit 50 Prozent Zustimmung vor beiden Parteigenossen. (APA/Reuters)