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Mindestlöhne gibt es schon, doch – fragt Hans Holzinger -, warum soll man eigentlich nicht auch Höchst-Einkommen festlegen?

Hans Holzinger: "Die Wirtschaft wächst zwar weiter, die Lebensqualität der Menschen steigt aber nicht mehr."

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Die Mär nach dem Immer-Mehr treibt uns nicht nur im Kleinen an: Ein Auto, zwei Autos, drei Fernseher, vier Handys – alles muss immer mehr werden. Auch die westlichen Volkswirtschaften arbeiten nach dem selben Prinzip: Ohne Wirtschafts-Wachstum läuft nichts. Heißt es. Hans Holzinger von der Robert-Jungk-Stiftung für Zukunftsfragen in Salzburg hat sich eingehend mit dem Wachstums-Paradigma in der Wirtschaft beschäftigt, und kommt zu einem anderen Schluss. Im Gespräch mit derStandard.at beschreibt er, wie eine "Post-Wachstums-Gesellschaft" aussehen könnte, warum der Blick über Nachbars Gartenzaun zur "Konsumfalle" wird und wie auch aus weniger Arbeiten mehr Wohlstand erwachsen kann.

derStandard.at: Das Mantra in Politik und Wirtschaft heißt immer noch: Mehr Wachstum bedeutet mehr Wohlstand, bedeutet mehr Arbeitsplätze, bedeutet mehr Sicherheit – kurz: "Geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut". Wie aktuell sind diese Annahmen heute noch?

Hans Holzinger: Dass diese Glaubenssätze immerfort gebetet werden, ist nachvollziehbar: Wirtschaftswachstum war jahrzehntelang erfolgreich, hat unseren materiellen Wohlstand erhöht, neue Arbeitsplätze geschaffen – zum Beispiel im Bereich der Frauenbeschäftigung. Nur jetzt kommen wir an einen Punkt, wo etwas anderes ansteht.

derStandard.at: Und was steht jetzt an?

Holzinger: Wirtschaftswachstum westlicher Prägung hat ja auch seine Schattenseiten. Zum einen ist es verbunden mit einem enormen Ressourcenverbrauch. Es ist leider nicht gelungen, das Wirtschaftswachstum vom Verbrauch von Ressourcen zu entkoppeln. Fossile Energieträger, die Basis industriellen Wirtschaftens, werden knapper, und irgendwann im Laufe des Jahrhunderts werden sie uns ausgehen. Das heißt, eine Solargesellschaft wird auch ein anderes Wachstum brauchen, denn erneuerbare Energieträger sind zwar zur Genüge vorhanden, sie werden jedoch teurer sein als die fossilen. Wir werden also in einer Solarspargesellschaft leben. Dazu kommt, dass die Wirtschaft zwar weiter wächst, die Lebensqualität der Menschen aber nicht mehr steigt. Die Lebenszufriedenheit und das Wirtschaftswachstum haben sich hier ebenfalls entkoppelt.

derStandard.at: Mehr Geld macht also nicht glücklicher?

Holzinger: Es gibt Untersuchungen, dass ab einem gewissen materiellen Niveau die Zufriedenheit nicht mehr ansteigt. Wir können zwar noch mehr besitzen, werden dadurch aber nicht zufriedener. Das hat nichts mit Sozialromantik zu tun. Es gibt in Europa leider auch die andere Seite, wie Working Poor oder Arbeitslose. Aber für den überwiegenden Teil der Menschen sind nicht mehr Güter knapp, sondern Zeit und Aufmerksamkeit. Dieser Befund wäre wahrscheinlich ein guter Einstiegspunkt in eine Post-Wachstums-Wirtschaft.

derStandard.at: Wie soll so eine Post-Wachstums-Wirtschaft denn aussehen?

Holzinger: Als Argumente für Wirtschaftswachstum werden ins Treffen geführt: Wirtschaftswachstum steigert die Lebensqualität; es sichert unsere Sozialsysteme, es schafft Arbeitsplätze, es finanziert Umweltschutzmaßnahmen und es ist erforderlich, um die Zinsen für Kredite bedienen zu können. Zum ersten, zur Lebensqualität: Dass diese trotz Wachstums irgendwann nicht mehr steigt, ist mittlerweile belegt. Bei der sozialen Sicherung gilt: In einer Wirtschaft, die hochproduktiv ist und in der Produktivitätszuwachs eigentlich vorwiegend durch Wissen oder im Hightech-Bereich passiert, muss auch das Steuersystem auf neue Beine gestellt werden. Das soziale Sicherungssystem kann in Zukunft nicht mehr nur auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen fußen, sondern muss auch verstärkt auf die Besteuerung von Vermögen und auf die aus der Produktivität erwachsenden Gewinne zugreifen. Zudem braucht es aus ökologischer Sicht eine Besteuerung des Ressourcenverbrauchs, womöglich auch eine höhere Besteuerung von Luxusgütern im Vergleich zum Grundbedarf.

derStandard.at: Wie sieht es mit den Arbeitsplätzen in der Post-Wachstums-Gesellschaft aus?

Holzinger: Die Wirtschaftswissenschaft sagt, dass man zwei Prozent Wirtschaftswachstum braucht, um den Beschäftigungsstand zu halten. Das stimmt soweit auch. Doch die Beschäftigung ist in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich angestiegen – wir halten in Österreich derzeit bei vier Millionen Erwerbstätigen, historisch gesehen ein Höchststand. Das heißt, wir arbeiten so viel wie nie zuvor. Doch die Doppelverdiener-Situation in den Familien birgt Fallen, insbesondere berufstätige Mütter haben häufig eine Doppel- oder Dreifachbelastung. Dadurch entsteht mehr Stress, es gibt weniger Zeit für Kinder, weniger Zeit für Freizeit, usw. Zwei Drittel der befragten Beschäftigten in Österreich wünschen sich aber gerade mehr freie Zeit, weniger Erwerbsarbeit. Das heißt, für jene Gruppen, wo das Einkommen passt, könnten in Zukunft Lohnerhöhungen indirekt durch Zeitzugewinn abgegolten werden. Das heißt im Endeffekt: Arbeitszeitverkürzung. Das notwendige Arbeitsvolumen könnte man auf mehr Schultern verteilen, was wieder Arbeitsplätze schaffen würde. Was wiederum bedeutet, dass man auch die Teilzeit-Arbeit aufwerten und Unternehmen belohnen müsste, wenn sie Teilzeit anbieten. Man müsste quasi die Arbeitnehmer dafür belohnen, dass sie etwas weniger arbeiten und damit mehr Platz für andere schaffen. Es gibt aber auch andere Modelle, wie die Ausweitung von Bildungskarenzen oder flexible Arbeitszeitgestaltung über das Erwerbsleben hinweg. Dazu muss freilich gesagt werden, dass die Reallöhne im letzten Jahrzehnt im Durchschnitt nicht mehr gestiegen, die Gewerkschaften daher ohnedies in die Defensive geraten sind.

derStandard.at: Teilzeit ist derzeit nicht unbedingt positiv besetzt, Stichwort: Frauenarbeit. Wie soll eine Aufwertung geschehen?

Holzinger: Es muss eine gesellschaftliche Aufwertung geben. Ich würde auch die Begrifflichkeiten ändern: statt Vollzeit oder Teilzeit würde ich eher von „Wunscharbeitszeit" sprechen, die angepasst ist an die jeweiligen Lebensbedingungen. Wer jung ist und keine Familie hat, soll zum Beispiel 40 Stunden arbeiten. In der Familienphase arbeiten die Lebenspartner dann vielleicht jeweils 20-25 Stunden. Und im Alter kann ich vielleicht länger arbeiten, aber nicht mehr so viel pro Tag. Ich bin überzeugt, dass gerade junge Menschen sehr leistungsbereit sind. Aber sie wollen auch Zeit für Familie, für Freunde, für Freizeit. Ich denke, da werden in Zukunft auch mehr Forderungen an Unternehmen gerade von Seiten gut ausgebildeter Arbeitskräfte gestellt werden. Mein Ziel wäre, dass Männer und Frauen Zeit für Erwerbsarbeit, aber zugleich genügend Zeit für Versorgungstätigkeiten in der Familie haben – und auch für ehrenamtliches Engagement. Zumindest in der Familienphase sollte ein Paar von zwei Halbtagsstellen gut leben können.

derStandard.at: Welche Rolle spielt die Krise in Fragen des Wachstums?

Holzinger: Das ist ein wesentlicher Punkt, weil wir da bei einem zentralen Argument für das Wachstum sind, nämlich dem auf Zins basierenden Finanzsystem. Das heißt: Wer investieren will, braucht Kredite, muss dafür Zinsen zahlen. Und um diese bedienen zu können, braucht es Wachstum. Das führt zu einem immanenten Wachstumsdrang oder -zwang der Wirtschaft. Ich denke, hier müssen Finanzmarktakteure wieder auf ihre ursprüngliche Rolle zurechtgestutzt werden, nämlich, dass Geld der Wirtschaft dient und nicht das Verdienen mit Geld an sich zum Selbstzweck wird. Die tatsächlich "arbeitslosen Einkommen" sind ja jene aus Geldvermögen! Aus Griechenland ist zu lernen, dass Kredite nur vergeben werden können, wenn sie auch gedeckt sind. Zuerst riskantes Geld vergeben und dann nach dem Staat rufen, ist zu einfach. Außerdem müssen die Möglichkeiten der Finanzmarktakteure nach unverschämt hohen Renditen begrenzt werden. Die Ratingagenturen, die verschuldete Staaten in hohe Zinsen treiben, sind hier zu recht in Kritik geraten. Die Staatsverschuldung ist zurückzufahren, dafür muss aber die Zinsrate unterhalb der Wachstumsrate liegen, sonst ist dies nicht möglich. Seit den 1970er-Jahren hatte sich das Verhältnis leider umgedreht. Wenn wir jetzt sagen, wir wollen eine eher niedrige Wachstumsrate, dann müssen auch die Zinsraten und Kapitalerträge dementsprechend sinken.

derStandard.at: Kommen wir zurück zum Wirtschaften jenseits des Wachstums: Sehen Sie da schon Tendenzen, die in diese Richtung gehen?

Holzinger: Ein sehr spannender Ansatz liegt in der Suche nach Ergänzungen oder Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt, wie zum Beispiel dem Better Life Index oder dem Index of Sustainable Economical Welfare. Man kommt immer mehr drauf, dass das BIP zwar sinnvoll ist, aber nicht alles messen kann. Zum Beispiel werden Versorgungsleistungen, Arbeiten, die in Familien verrichtet werden, im BIP nicht schlagend, obwohl sie wesentlich zu unserer Lebensqualität beitragen. Zum anderen unterscheidet das BIP auch nicht zwischen Wohlstand steigernden Umsätzen und so genannten Negativkosten, die anfallen, um Zivilisationsschäden zu reparieren, etwa Ausgaben für Stresserkrankungen oder nach Umweltkatastrophen im Zuge des Klimawandels. Diese führen über nötige Investitionen zwar zu einem höheren BIP, sind aber eigentlich negative Faktoren.

derStandard.at: Und was heißt das für die Wirtschaft?

Holzinger: Wenn zum Beispiel das BIP nicht viel gewachsen, dafür aber der Better Life Index gestiegen ist, dann kann man das als sichtbaren Erfolg für eine Volkswirtschaft verbuchen. Nur weil das BIP nicht wächst, heißt das ja nicht, dass andere Dinge nicht trotzdem wachsen können, wie die Qualität menschlicher Beziehungen oder die frei verfügbare Zeit.

derStandard.at: Hat der Homo Oeconomicus, der aus reinem Streben nach dem Mehr heraus handelt, damit endgültig abgedankt?

Holzinger: So ist es. Wir wissen aus der Konsumforschung, dass es Konsumfallen gibt: Ich muss haben, was der Nachbar auch hat. Je mehr ich habe, umso höher werden die Ansprüche. Das hat nichts mit Lebensqualitätssteigerung zu tun. Bruttosozialprodukt und Lebensqualitätsprodukt fallen auseinander. Aber ich denke, der Homo Oeconomicus, oder in moderner Version der Homo Consumens, ist nicht der Endpunkt menschlicher Entwicklungsmöglichkeiten. Erwerbsarbeit bleibt wichtig, unternehmerische Tätigkeit bleibt wichtig. Aber es gibt auch noch anderes. Man könnte auch, anstatt die Nachfrage nach Gütern immer weiter zu forcieren, die Nachfrage nach Dienstleistungen steigern. Statt einen neuen Flachbildschirm anzuschaffen, könnte man ja zum Beispiel in Musikunterricht investieren. Dieser hat eine bedeutend bessere Ökobilanz, und trotzdem könnte die Wirtschaft wachsen.

derStandard.at: Eine Wirtschaft jenseits von Wachstum geht dann aber immer vom Ideal aus, dass niemand ausschert aus dem Gefüge und zum Beispiel gierig wird?

Holzinger: Wir leben zum Glück in einer Demokratie, und Demokratie bedeutet, dass Gesetze und Regeln festgelegt werden, die für alle gelten. Warum also nicht nur Mindesteinkommen, sondern auch Maximaleinkommen festlegen? Gibt es keine verbindlichen Normen für alle, dann hat letztlich derjenige, der sagt: "Okay, ich verzichte auf etwas", Nachteile. Das heißt, es liegt an uns, dass wir uns als Gesellschaft Regeln geben, etwa dergestalt, dass jeder genug verdienen kann, um gut leben zu können, aber dass es eine Obergrenze gibt. Das gilt im Bereich der Einkommen, aber auch bei den Gewinnen und insbesondere bei den Finanzdienstleistungen. Im Finanzbereich wäre allerdings ein international akkordiertes Vorgehen nötig, weil sonst das Kapital flieht und die Gefahr des Ausweichens zu groß wäre.

derStandard.at: Und dann haben alle etwas davon?

Holzinger: Was es braucht, ist die faire Verteilung des Erwirtschafteten. Menschen fühlen sich in einer Gesellschaft, oder auch in einem Unternehmen dann zufrieden, wenn sie das Gefühl haben, dass es gerecht zugeht. Wir müssen schauen, wo es in unseren reichen Gesellschaften "Wohlstandspuffer" gibt. Wenn es ökonomisch zur Schrumpfung kommt oder zumindest zu keinem weiteren Wachstum, wo kann ich dann umverteilen? Jeder und jede kann für sich überlegen: Wo liegt mein materielles Genug? Ist mein "Genug" vielleicht sogar schon überschritten? Zugleich gibt es Menschen, die haben zu wenig – die haben das Recht auf Mehr. Aufgabe in der Demokratie ist es, dieses Genug für alle in Grenzen zu halten.

derStandard.at: Kann man eigentlich ein Wohlstandsniveau ausmachen, jenseits dessen die Lebensqualität nicht mehr viel zunimmt?

Holzinger: Es werden mittlerweile in der Mehrzahl der Staaten der Welt Zufriedenheitswerte der Bevölkerung erhoben. Statistiken besagen, dass ab einem Jahreseinkommen von 10.000 Dollar die Lebenszufriedenheit nur mehr bedingt steigt. Anders gesagt, die Menschen bei uns waren in den 1960er-Jahren wahrscheinlich nicht viel unzufriedener als wir heute. Ein Lebensstandard wie in den 1960er-Jahren hätte dann vielleicht gereicht. Wir verdienen heute in der Regel zwar mehr, wir arbeiten aber auch mehr, und damit steigt der Stress. Das kann ja wohl nicht das Ziel des guten Lebens sein.