Leinen los und Abschied von Istanbul nehmen heißt es für Autor Yilmaz Gülüm.

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Ehrlich gesagt habe ich keine große Lust zurück zu gehen. Das hat verschiedene Gründe. Ich fühle mich in Istanbul jedenfalls nicht "zu Hause". Aber gut, dieses Gefühl kenne ich in Reinform hauptsächlich sowieso nur aus Erzählungen.

Allerdings fühle ich mich in dieser Stadt unglaublich wohl, wohler als zeitweise in Wien. Es tut einfach gut, wenn man einen Raum betreten kann und nicht automatisch als "der Andere", Exot oder was auch immer wahrgenommen wird. Dazu kommen praktische Dinge: Ich musste hier nie meinen Namen buchstabieren, oder jemandem erklären wie man ihn ausspricht und was er bedeutet. Ich musste nie erklären wieso ich so gut Deutsch kann und keiner hat aus "kulturellem Interesse" nach meiner Herkunft gefragt. Andere Auslandsstudierende sind natürlich ausgenommen, die haben genauso gefragt. Ist ja auch nichts dabei, ich kann es niemandem übel nehmen, der nachfragt. Trotzdem war es angenehm, davon eine Weile Abstand zu gewinnen.

Darüber hinaus hat so ein Auslandssemester ganz eigene Reize. Ja, damit sind klischeebehaftete Partys und jede Menge Spaß gemeint, aber auch noch etwas anderes. Man lernt und erlebt unglaublich viel. Auch was die türkische Kultur betrifft. Wie sich herausstellte, kannte ich vor meinem Aufenthalt nur einen kleinen Teil davon. In diesem halben Jahr habe ich gefühlt etwa genauso viele Eindrücke und Erfahrungen gesammelt, wie in Wien in den letzten drei Jahren. Grob gerechnet gab es während meiner Zeit hier vielleicht drei, vier Tage, an denen ich gar nichts gemacht habe. Das hat mich verändert. Auf eine Art und Weise, die mir gefällt.

Auslandssemester für Alle!

Das hat nur bedingt unmittelbar mit Istanbul zutun. Ich glaube es gibt keine Möglichkeit sechs Monate in einer anderen Stadt zu leben und sich dabei nicht zu verändern. Bei einigen KollegInnen war das ganz besonders stark zu beobachten. Grübelten sie in der Mitte des Semesters noch darüber, ihren Aufenthalt abzubrechen weil es ihnen nicht gefällt, haben sie sich am Ende mit Tränen von der Stadt verabschiedet. Einige haben versucht Praktika hier zu finden. Andere reisen noch durch die Türkei. Ich kenne dagegen niemanden, der voller Freude in den Flieger nach Hause gestiegen ist.

Es ist die berüchtigte "Post-Erasmus" Depression, vor der sich viele fürchten. Zurück in den gewohnten Alltagstrott, nicht mehr jeden Tag etwas Neues erleben, mit der bitteren Gewissheit einige der neu gewonnenen FreundInnen wahrscheinlich nie wieder zu sehen.

Trotzdem möchte ich an dieser Stelle allen Studierenden raten, ein Auslandssemester zu machen. Auch denen, die überzeugt sind, sie hätten dafür keine Zeit. Nehmt sie euch! Eure Lebensplanung wird es euch verzeihen, wahrscheinlich sogar danken.

Märchenstadt

Natürlich ist es auch die Unverwechselbarkeit der Metropole, die mir den Abschied erschwert. Istanbul ist eine Märchenstadt, die mich in ihren Bann gezogen hat. Letzte Woche habe ich mich in der Früh auf eine Fähre gesetzt, und bin den ganzen Tag ohne auszusteigen zwischen Europa und Asien hin und her gefahren. Ich habe Musik gehört, gelesen, aufs Meer geschaut oder Leute beobachtet. Einige rannten wie gehetzte Tiere direkt von der Ausstiegsplattform wohin auch immer und andere plauderten gemütlich über Gott und die Welt und tranken dabei einen Cay nach dem anderen. Die Fähre in Istanbul ist einzigartig. Ich frage mich, ob mir das Gefühl dort je langweilig werden könnte.

Dieser Blog hat mir jedenfalls geholfen wöchentlich meine Eindrücke zu einem Thema zu reflektieren. So bezaubernd die Stadt auch sein mag, es liegt an meiner Art hinter die Fassade zu schauen, egal was sich dort verbirgt. Das hat mir viel Spaß gemacht und hat hoffentlich auch einigen LeserInnen gefallen. Ich bin mir darüber im Klaren, dass die Themen mit denen ich mich (auch) journalistisch beschäftige, keine schwarz/weiß Geschichten sind. Daher möchte ich mich an dieser Stelle bei den vielen Postern bedanken. Manche haben mich zum Lachen gebracht, andere haben mich geärgert. Oft haben mich die Kommentare allerdings zum Nachdenken gebracht. Auch dafür sage ich herzlich Danke und verabschiede mich vom Bosporus. (Yilmaz Gülüm, 11. Juli 2011, daStandard.at)