
Schon der Treffpunkt galt als Statement: das Kunsthalle-Cafè, ein Wiener Nichtraucherlokal. Gesundheitsminister Alois Stöger und Starköchin Sarah Wiener kämpfen für gesunde Ernährung - bald vielleicht sogar Seite an Seite.
STANDARD: Listerien im Quargel, Analogkäse und Gammelfleisch. Wie viel Mist essen wir?
Stöger: Wir essen nicht nur Mist, aber wir haben eine Lebensmittelproduktion, die starker Kontrolle bedarf, weil sehr vieles industrialisiert ist. Es gehören jene Betriebe gestärkt, die noch natürliche Lebensmittel produzieren.
STANDARD: Frau Wiener, erkennen Sie gleich, was in den Lebensmitteln steckt?
Wiener: Nein, da hat man keine Chance. Kontrollen sind daher gut und wichtig, aber es geht nicht nur darum. Die Frage ist, ob wir nicht ein völlig falsches Landwirtschaftssystem haben. Ist die Massentierhaltung nicht eine Dead-End-Road?
Stöger: Die Nicht-Massentierhaltung gehört gestärkt. Ich ringe darum, dass wir ein Gütezeichen bekommen - für artgerechte Tierhaltung etwa. Ich engagiere mich auch in der Frage gentechnikfreier Produkte. 80 Prozent unseres Fleisches wird mit gentechnisch veränderter Nahrung produziert. Es gibt kaum mehr Tierhaltung ohne solche Futtermittel. Die Europäische Union lässt Genfutter-Importe zu. Wenn ein Unternehmer gentechnisch verändertes Futter will, kann er es kaufen.
Wiener: Als genussvolle Köchin bin ich radikaler. Es gibt genug Beweise, dass das genmanipulierte Saatgut nicht reglementierbar ist. Es ist richtig und wichtig, dass Österreich dagegen ist - so wie der Großteil der Verbraucher. Im Namen der Gewinnmaximierung geschehen aber Dinge in der Landwirtschaft, die nicht im Sinne der Tiere, des Bodens, des Wassers und der Verbraucher sein können.
STANDARD: Einerseits sind die Österreicher gegen Gen-Futter, andererseits soll das Schnitzel möglichst billig sein.
Stöger: Der Konsument weiß doch nicht einmal etwas davon - und hat auch keine Chance, es zu erfahren. Es fehlt ein Gütezeichen für Produkte, die gentechnikfrei sind. Dann könnte man mehr tun, etwa das Betreiben einer Schulkantine an das Gütesiegel binden.
Wiener: Der Großteil der Bevölkerung weiß zumindest theoretisch, was ungesund ist. Lässt man die Wahl, entscheiden die Leute nicht nach der Gesundheit, sondern nach dem Preis.
Stöger: Ich hab mich von Beginn an bemüht, einen Nationalen Aktionsplan Ernährung zu entwickeln. Unser erster Schritt ist, Frauen in der Schwangerschaft das Thema gesunde Ernährung näherzubringen. Dann kommt der Kindergarten. Dort müssen Kinder wieder einen gesunden Umgang mit Essen lernen.
Wiener: Das läuft doch viel zu theoretisch ab. Das kann keiner nachvollziehen. Diese Ernährungspyramiden zeigen doch auch eines: Man ist offenbar als normaler Mensch nicht mehr in der Lage sich ohne Regeln adäquat zu ernähren. Sagt jemand: "Iss gesund!", dann haben viele sofort verstaubte Grünkernlaibchen vor dem Auge oder letschertes Gemüse. Warum nicht einfach sagen: Koch selbst! Koch mit Grundnahrungsmitteln! Bringen wir doch den Kindern wieder Kochen bei - und den Pensionisten. Und den Managern.
Stöger: Statt der Zigarettenpause eine Kochpause.
Wiener: Man muss nur andere Prioritäten setzen.
Stöger: Stimmt. Habe ich auch gemacht. Und lasse seitdem viele Regale im Supermarkt aus.
STANDARD: Welche?
Stöger: Das ist jetzt heikel. Ich kaufe etwa keine Süßigkeiten mehr.
STANDARD: Ist gesundes Essen auch eine soziale Frage?
Stöger: Auch. Aber gesundes Essen muss nicht teurer sein. Wasser zum Beispiel ist besser als jeder gesüßte Saft - und billiger.
STANDARD: Ein Supermarkthendl bratfertig kostet 4,49 Euro, ein Biofreilandhuhn im Ganzen 11,64 Euro.
Wiener: Aber in diesen 4,49 Euro sind Landwirtschaftssubventionen enthalten. Rechnen Sie die Folgekosten für Mensch und Natur ein, ist das Biohendl günstiger.
STANDARD: Wer wenig Geld hat, schaut in erster Linie auf den Preis.
Wiener: Aber so lange der Konsument nur das Hühnerfilet will und wir die Flügerl nach Afrika schicken oder wir vom Rind nur das Filet und den Rücken nehmen und der Rest im Hundefutter landet, weiß ich nicht, ob ausgerechnet wir uns über zu hohe Lebensmittelkosten empören dürfen. Fleisch ist zu billig. Es wird nicht wertgeschätzt. Kein Mensch denkt daran, dass dafür Tiere gestorben sind. Ein Huhn ist weniger wert als eine Parkstunde in der Innenstadt!
Stöger: Trotzdem: Wo wenig Geld ist, ist leider auch die Fettleibigkeit höher. Das hängt oft mit dem Faktor Essen zusammen. Fast alle Herz-Kreislauf-Erkrankungen hängen mit der Ernährung zusammen.
Wiener: Alle Studien deuten daraufhin, dass die Nummer eins der Gesundheitskosten auf ernährungsbedingte Krankheiten zurückzuführen ist.
STANDARD: Frau Wiener, Sie haben eine Stiftung gegründet, mit der Sie Kindern an 350 deutschen Schulen das Kochen näherbringen. Erkennen die Kinder, mit denen Sie kochen, noch das Gemüse?
Wiener: Zum Teil ist es erschreckend. Ich habe Kinder getroffen, die noch nie eine warme Mahlzeit bekommen haben, die nicht aus der Mikrowelle kam. Da bekomme ich das kalte Grauen - als Mutter und als Köchin.
Stöger: Das Essen an den Schulen ist ein Problem. Was das Angebot in der Schulkantine betrifft, gibt es eine unheilige Allianz zwischen Schulwart und Schuldirektor. In vielen Schulen gibt es keine adäquate Verpflegung. Wo holen die dann ihr Essen?
Wiener: Ich würde gerne mal beratend eingreifen.
Stöger: Machen wir doch etwas gemeinsam! Es gibt in Österreich noch immer Schultypen, bei denen Kochen nicht angeboten wird. Ein Fehler, finde ich.
STANDARD: Bei den meisten Schulstandorten ginge das gar nicht.
Stöger: Alles geht, wenn man will.
STANDARD: Bildungsministerin Schmied ist Ihre Parteikollegin.
Stöger: Es gibt viele Gespräche. Das Ministerium ist aber nicht immer der Schulerhalter. Das sind die Gemeinde und die Länder. Dort muss man die Lösung suchen. In Wien passiert sehr viel Positives.
STANDARD: Frau Wiener, TV-Kochshows boomen, Sie selbst haben eine Kulinariksendung: Ist das reines Entertainment oder schafft man dadurch Bewusstsein?
Wiener: Bei vielen Kochsendungen geht es leider nicht primär ums Kochen, sondern um andere Inhalte, da kann man dann etwa lernen, was Zitronensäure mit dem Zahnschmelz macht. Aber natürlich kann man auch mit Kochsendungen ein bestimmtes Bewusstsein schaffen.
STANDARD: Herr Stöger, kochen Sie?
Stöger: Viel zu wenig.
STANDARD: Schauen Sie TV-Kochsendungen?
Stöger: Nein, eigentlich nicht.
Wiener: Er schaut natürlich nur meine Serie!
Stöger: Nein. Ich sehe selten fern.
STANDARD: Sie beide sind passionierte Nichtraucher ...
Wiener: Schlimmer! Ich bin Konvertitin, das sind die Ärgsten.
STANDARD: Wenn Sie nach Österreich kommen, merken Sie einen Unterschied zu Ihrer Wahlheimat Deutschland, in der es ein strenges Rauchergesetz gibt?
Wiener: Es ist furchtbar, wenn man es gewohnt ist, in klarer Luft zu sitzen. In Österreich ist das unangenehm. Wenn man nach Hause kommt, riecht man wie ein voller Aschenbecher.
Stöger: Die Bevölkerung ist nicht mehr bereit, die Raucherei zu akzeptieren. Weil sie gelernt hat, in ein Gasthaus zu gehen, ohne nachher nach Rauch zu stinken.
Wiener: In Deutschland ist das Rauchverbot kein Thema mehr. Wer rauchen will, geht raus oder setzt sich auf die Terrasse.
STANDARD: Werden Sie etwas am bestehenden Tabakgesetz ändern?
Stöger: Es ist nicht leicht in dieser Frage, eine Mehrheit im Nationalrat zu finden. Selbst unter den Grünen, sei bemerkt.
STANDARD: Es gibt noch einen Unterschied zu Deutschland: Warum sind die Rechtspopulisten in Österreich so stark und in Deutschland marginalisiert.
Wiener: Das kann man nur aus der Geschichte erklären. Die Deutschen beschäftigen sich im Vergleich zu Österreich viel stärker mit ihrer Vergangenheit.
Stöger: Österreich war viel zu schlampig im Umgang mit seiner Vergangenheit. Es wurde auch vergessen, aufzuarbeiten, was Demokratie bedeutet. Nämlich sich einzubringen und nicht nur in den Rängen zu sitzen. Viele glauben, dass man von dort aus das Spiel mitgestalten kann. Wir haben zu viele Trainer und zu wenige Spieler, die sich mit dem Wesen der Demokratie auseinandersetzen.
STANDARD: Es gelingt aber der SPÖ nicht, das zu vermitteln.
Stöger: Es gelingt allen nicht. Wir merken oft, dass geraunzt wird, aber nur wenige sich einbringen wollen. Da ist man zu autoritätshörig.
STANDARD: Frau Wiener, eine Frage ist noch unbeantwortet: Was macht die Zitronensäure?
Wiener: Zitronensäure, E330, ist ein industrieller, künstlich hergestellter Stoff, der fast überall drinnen ist, auch in Kinderprodukten. E330 zerstört den Zahnschmelz und erleichtert die Aufnahme von Schwermetallen in Knochen. Wer möchte das im Essen haben? (Peter Mayr, DER STANDARD, Printausgabe, 9./10.7.2011)