Paris/Wien - In der Affäre um die angebliche Vergewaltigung einer Hotelangestellten in New York durch Ex-IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn sieht der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy den Beschuldigten und das Prinzip der Unschuldsvermutung als Opfer. Die "Kannibalisierung der Justiz durch das Spektakel" habe in diesem Fall mit einer "inszenierten Lynchhysterie" einen "obszönen Höhepunkt" erreicht, schreibt Lévy in einer von der Zeitung "Die Presse am Sonntag" veröffentlichten Streitschrift, die in der von ihm herausgegebenen Publikation "La Règle du Jeu" erschienen ist.

Strauss-Kahn sei in ein "Symbol" verwandelt und "mit allem, was uns in dieser Welt hassenswert erscheint," beladen worden. Der Politiker sei nur noch "das Abbild der weißen Bankiers und der Globalisierung" und sein mutmaßliches Opfer "die Verkörperung aller erniedrigten und misshandelten, dazu noch eingewanderten und armen Frauen". Doch die Justiz habe nicht über Symbole, sondern über menschliche Individuen zu urteilen. Eine Rechtsfrage werde so in einen "metaphysischen Streit zwischen Schwachen und Mächtigen" verwandelt, kritisiert der französische Parade-Intellektuelle, der sich auch gegen "die Heiligung der Aussage der Opfer" verwahrt: "Es ist eines, ihnen das Wort zu erteilen. Etwas anderes ist es, dieses Wort als Evangelium zu nehmen."

"Dieser Mann, dessen Leben und Ehre man den Hunden zum Fraß vorgeworfen hat, heißt Dominique Strauss-Kahn. Aber es gibt noch ein anderes Opfer in den Vereinigten Staaten und in Europa: den Grundsatz der Unschuldsvermutung. Dieses Prinzip wurde mit Füßen getreten, von Boulevardblättern, die in ihrer Niedertracht wetteiferten, um Strauss-Kahn in ein 'Monster' und einen 'Perversen' zu verwandeln. Aber dies tat auch ein Teil der seriösen Presse, etwa das 'Time Magazine', das auf seiner Titelseite die 'Arroganz der Mächtigen' mit dem Bild eines Schweins illustrierte und damit weiter ging, als dies die schlimmsten Schmierblätter gewagt hätten. Das Prinzip wurde auch von den Bürokraten des Internationalen Währungsfonds durchlöchert, die Strauss-Kahn zum Rücktritt zwangen, obschon sie nicht mehr wussten als die Hotelangestellten bei ihrer Demonstration am 6. Juni. Sie haben sich dadurch mit Schande bedeckt", meint Bernard-Henri Lévy. (APA)