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Neue Spielräume für Kunst und Wissenschaft: Die Pianistin Hélène Grimaud 2007 bei einem Konzert im VW-Phaeton-Werk; über die Wahrnehmung von Kunst fand das IMBA zu neuen Erkenntnissen.

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Josef Penningers Vision: "Tun wir's einfach".

Penninger erarbeitete als "Principal Investigator" des US-Gentechnikkonzerns Amgen an der University of Toronto bahnbrechende Erkenntnisse über die molekulare Basis von Knochenschwund und Brustkrebs. Seit 2003 (Österreichs Wissenschafter des Jahres) ist der Genetiker Wissenschaftlicher Direktor am IMBA (Institut für Molekulare Biotechnologie), einer Tochter-GmbH der Akademie der Wissenschaften.

 

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Man sollte endlich aufhören, Wissenschaften in Österreich schlechtzureden. Im Gegenteil, die Wissenschaften haben sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt, nicht nur an meinem Institut, dem IMBA (Institut für Molekulare Biotechnologie) in Wien. Die Physiker in Innsbruck oder die Bioinformatik und Mathematik in Linz und Wien sind Weltklasse. In Graz gibt es wunderbare Wissenschaftler, die auf den Gebieten Fettstoffwechsel oder Zelltod arbeiten. Die Akademie der Wissenschaften hat erstaunliche Erfolge in den Geistes- und Naturwissenschaften. Der Campus Vienna BioCenter ist Weltklasse, und das IMBA hat es geschafft, in der Champions League der Forschung mitzuspielen.

Ich behaupte: Wissenschaft hat sich in einem Ausmaß entwickelt, dass man uns absolut ernst nehmen muss. Wir leben im Zeitalter der genetischen Revolution und der Entwicklung von neuen Technologien, die unser Leben, unsere Industrien und auch unsere Art des Zusammenlebens fundamental verändern. Als Beispiel: Vor etwa zehn Jahren wurde das erste menschliche Genom bekanntgegeben - es dauerte 10 Jahre, kostete bis zu zwei Milliarden US-Dollar, und hunderte Forscher waren beteiligt. Heute macht dies eine Maschine in etwa 12 Minuten. Es dauerte Jahrzehnte, Krankheitsgene zu finden; durch diese neuen Technologien kann man dies nun in etwa zwei Wochen tun.

Wir haben letztes Jahr bei uns am IMBA ein Gen identifiziert, das mit Schmerz zu tun hat. Zufällig hat sich herausgestellt, dass es gleichzeitig das erste jemals gefundene Gen für Synästhesie ist, also für die Fähigkeit, die es erlaubt, zwei oder mehr verschiedene Sinne gleichzeitig wahrzunehmen. Menschen mit dieser Fähigkeit empfinden etwa Worte als Farben oder Klänge als Bilder, und Synästhesie wurde immer mit Kreativität assoziiert. Einige bedeutende Synästhetiker waren bzw. sind: Arthur Rimbaud, Wassily Kandinsky, Nikola Tesla, oder unter den Musikern Franz Liszt, Jean Sibelius, Olivier Messiaen (der seine Musik "sehen" konnte), Duke Ellington, Jimi Hendrix oder die Pianistin Hélène Grimaud, die ja auch schon hier beim "Carinthischen Sommer" zu Gast war.

Überhaupt scheint mir, sind in der Musik und oder in der bildenden Kunst ähnliche Prozesse zu beobachten wie in der Wissenschaft. Nur wer kreativ ist, kann mit offenem Blick schöpferisch tätig sein. So entstehen neue Musik, interessante Kunstströmungen oder neue Technologien. Damit sich Kreativität entfalten kann, ist es absolut essenziell, ein Umfeld, eine Art "Spielplätze" zu schaffen, wo sich neue Ideen in Ruhe entwickeln können, wo Kreativität und Querdenken und das "Etwas-anders-sein" gedeihen.

Das heurige Festival ist dem französischen Komponisten Darius Milhaud gewidmet. Er ließ in seiner Musik für einen Film über die Spielarten der Liebe seine Hauptperson, den König René, in "windlosen Gegenden unter freiem Himmel" Erholung suchen. Milhauds "Musik für windlose Gegenden" ist genau dieser Ort, an dem man die Gedanken frei schweben lässt, wo man sich mit Freude und Lust dem Forschen, dem Wissenserwerb, der Kreativität hingibt.

Kreativität zuzulassen und zu fördern ist schon bei jungen Menschen wichtig. Gustav Mahler hatte im Gymnasium noch ein allgemeines Fach "Naturwissenschaften". Genau das wünsche ich mir wieder in unseren Schulen: Es ist wichtig, dass wir nicht immer nur über Details reden, wir müssen Zusammenhänge erkunden!

Ich bin überzeugt, dass wir aus der Wissenschaft auch einiges für die Gesellschaft lernen können: Einer unserer wichtigen Grundsätze ist es, offen zu sein gegenüber Neuem, konträre Standpunkte zu diskutieren und basierend darauf und auf fundiertem Wissen eine vernünftige Entscheidung zu treffen - auch wenn sie unpopulär ist. Wissenschaft vermittelt die Methode, Probleme zu lösen und nicht alles zu glauben, was einem vorgesetzt wird, sondern scheinbare Tatsachen kritisch zu hinterfragen. Sind diese Qualitäten nicht Basis für Demokratie und eine tolerante Gesellschaft, in der man auch andere Meinungen haben darf und trotzdem respektiert wird?

Ich möchte Ihnen ein Zitat meines Freundes John Bryant ans Herz legen, des US-Präsidenten-Beraters und Gründer von "Operation HOPE": "Wir wissen immer ganz genau, was wir nicht haben wollen und was uns alles nicht gefällt. Darin sind wir wahre Experten. Aber keine Gesellschaft war je erfolgreich, wenn sie auf diesem Grundsatz aufgebaut hat. Wichtig ist, wofür wir stehen!"

Ich gehöre zu den hoffnungslosen Romantikern, die an eine große Vision für Österreich glauben: Wir müssen endlich anfangen, darüber zu reden, wie wir eine lebenswerte, moderne Zukunft gestalten können. Wir brauchen eine offene Haltung gegenüber Begabungen, eine windlose Gegend für Kreativität! Und dann tun wir es einfach! Das wäre doch eine Vision für Österreich!
(Josef Penninger / DER STANDARD, Printausgabe, 11.7.2011)