"Wo ich keine Leistungsträger sehe, sind Leute die ein Arbeitsloseneinkommen aus Zinsen und Vermögen beziehen. Das sind Nichtleistungseinkommen."

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"Ich kämpfe hier nicht für mich als Therese Mitterbauer sondern für meine Generation und für die nächsten Generationen."

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Mitterbauer warnt davor, den Wirtschaftsstandort Österreich weiter zu schwächen, Kowall hält die Standortdebatte für überzogen.

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Mitterbauer: Wenn wir eine gewisse Masse damit erzeugen wollen, dann müssen wir in andere Schichten eingreifen.

Kowall: Das ist schlichtweg falsch. Hier schiebt die IV die Mittelschicht vor um sich zu schützen. Das ist absurd.

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Junge Industrie gegen sozialdemokratische Sektion Acht: derStandard.at bat Therese Mitterbauer und Niki Kowall zum Streitgespräch. Beide fordern Reformen, bei Maßnahmen und Motiven haben sie unterschiedliche Vorstellungen. Die Fragen stellten Katrin Burgstaller und Marie-Theres Egyed.

derStandard.at: Wir haben Ihnen etwas mitgebracht und zwar das berühmte Formular L1 zur Arbeitnehmerveranlagung. Was fällt Ihnen dazu ein?

Kowall: Es wirkt etwas komplex.

Mitterbauer: Es wirkt etwas komplex und im Endeffekt sind die Steuern zu hoch, die dabei herauskommen.

derStandard.at: Die Arbeitseinkommen sind in Österreich steuerlich stark belastet. Muss sich daran was ändern?

Mitterbauer: Ja, daran muss sich etwas ändern. Sonst ist längerfristig der Standort Österreich und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft gefährdet. Es müssen sich endlich Reformen abzeichnen, etwa in den Bereichen Gesundheit und Pensionen. Die Potenziale sind vorhanden, um den Faktor Arbeit entlasten zu können.

Kowall: Ich bin auch nicht zufrieden mit der Belastung des Faktors Arbeit. Ich habe nichts gegen die Verwaltungsreform, aber mein zentrales Anliegen ist trotzdem eine Strukturreform zur Belastung arbeitsfreier Einkommen oder Vermögen

Mitterbauer: Im Verwaltungsbereich sind mehrere Milliarden drinnen. Ich verstehe nicht, warum wir das nicht endlich angehen. So könnten wir in Richtung Budgetüberschuss kommen.

Kowall: Frau Mitterbauer überschätzt die Geschwindigkeit, in der das möglich ist. Wir sind in einem permanenten Verwaltungsreformprozess. Wenn sie mit Beamten des Finanzministeriums reden, werden sie hören, dass der Bund sehr viele Fortschritte gemacht hat. Das Problem ist auf der Länder- und Gemeindeebene, dort muss man wesentlich stärker ansetzen. Mit einer intelligenten Organisationsentwicklung könnte man innerhalb von zehn Jahren vernünftige Einsparungspotenziale erreichen. Aber es funktioniert nicht so, dass man mit dem Finger schnippt und plötzlich sind zehn Milliarden da.

Mitterbauer: Natürlich geht eine Verwaltungsreform nicht von heute auf morgen. Aber wir reden ja schon seit Jahren davon. Wir müssen sie endlich einmal starten. Auch die Pensionsreform ist längst fällig. Österreich verwendet von seinen Ausgaben 40 Prozent für die Vergangenheit – für Pensionen und Zinsen. Nur 25 Prozent werden für die Zukunft, also für Bildung, Intelligente Infrastruktur, Forschung und Entwicklung ausgegeben. Für Ersteres ist die Tendenz steigend für Zweiteres fallend. Das ist erschreckend. Der Großteil der Steuern kommt von Unternehmen. Wenn die Wirtschaftslage gut ist, sprudeln auch die Steuereinnahmen. Ich warne davor, dass wir die Wirtschaft weiter zu beeinträchtigen. So attraktiv ist der Wirtschaftsstandort Österreich nicht mehr.

derstandard.at: Herr Kowall, machen Sie sich auch Sorgen um den Wirtschaftsstandort?

Kowall: Nein. Ich halte die ganze Standortdebatte für völlig überzogen. Es ist die Aufgabe von Wirtschaftspolitik zu versuchen, die Wettbewerbsbedingungen zwischen den Standorten auszugleichen und sich nicht durch Lohndumping Marktanteile zu rauben. Das führt zu einem äußerst destruktiven Wettbewerb. Der Wettbewerb soll zwischen den Unternehmen stattfinden, nicht zwischen den Staaten. Im Vordergrund soll die Frage nach besseren Produkten stehen, nicht, wie man Löhne und Steuern für Unternehmen senken kann. Die IV trommelt den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit zu laut. Es stimmt nicht. Wir haben eine der wettbewerbsfähigsten Industrien der Welt.

Mitterbauer: Ich bin auch gegen ein komplettes Lohndumping, aber es muss nach Produktivität bezahlt werden. Wir haben in Österreich Rahmenbedingungen, die uns in unserer Flexibilität einschränken und das teilweise auch gegen den Wunsch der Mitarbeiter. Dass Österreichs Wettbewerbsfähigkeit abnimmt ist keine Erfindung der IV, sondern ein Faktum.

derStandard.at: Frau Mitterbauer, Herr Kowall hat vorgeschlagen, die Vermögen stärker zu besteuern, der Bundespräsident ist für die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer. Eine gute Idee?

Mitterbauer: Es wird Sie wohl nicht sehr verwundern, dass ich dem nicht sehr positiv eingestellt bin. Ich halte nichts von einem Leistungsträgerbashing, in dem wir in einen Topf geworfen werden mit unverantwortungsvollen Managern. So werden unsere Leistungsträger vergrämt. Es gab eine Vermögenssteuer in Österreich, sie wurde unter Minister Lacina abgeschafft. Außerdem: Was soll besteuert werden? Der Mittelstand soll nicht stärker belastet werden, dem stimme ich zu. Also bleibt nur mehr die höhere Besteuerung der Betriebe. Wenn ich bewegliche Vermögen besteuere, dann sind die weg. Es bleiben einige paar Millionen Euro, wofür die Administration höher wäre.

Kowall: Das meiste Vermögen heißt Immobilie und Immobilie ist unbeweglich. Hier liegen 45 Prozent der österreichischen Vermögenssubstanz. Weitere 28 Prozent sind Geldvermögen. 26 sind direkte Unternehmensbeteiligungen. Wenn wir die Unternehmen weglassen würden, blieben uns immer noch 75 Prozent zu besteuern. Wenn wir uns auch noch die Vermögenskonzentration anschauen, wissen wir, dass der Mittelstand nicht angerührt werden muss. Wir besteuern die Geld- und Immobilienvermögen der obersten zehn Prozent – das hätte auf den Unternehmensstandort überhaupt keinen Einfluss.

Mitterbauer: Immobilien wollen Sie besteuern? Dann besteuern Sie jeden einzelnen Häuslbauer.

Kowall: Moment einmal. Man kann sich die Freibeträge natürlich noch genauer anschauen. Das ist alles politisch gestaltbar.

Mitterbauer: Noch einmal: Wenn wir eine gewisse Masse damit erzeugen wollen, dann müssen wir in andere Schichten eingreifen.

Kowall: Das ist schlichtweg falsch. Hier schiebt die IV die Mittelschicht vor, um sich zu schützen. Das ist absurd.

Mitterbauer: Wir sollten lieber über Sachen reden, die die Zukunft betreffen.

Kowall: Das betrifft die Zukunft.

Mitterbauer: Vermögen wurde schon einmal besteuert. Es wurde von vielen Leuten auch erarbeitet. Das doppelt zu versteuern macht heute niemand mehr. Außer in Frankreich gibt es die Vermögenssteuer nirgends in Europa.

Kowall: Dann sehe ich nicht ein, warum man den Konsum und die Arbeit doppelt besteuert, die Vermögen jedoch nicht. Die Vermögenssteuer stört sie jetzt in ihrer Rolle als Vermögende, nicht aber als Wirtschaftstreibende.

Mitterbauer: Ich baue ja nicht für mich auf, sondern für die nächsten Generationen. Ich kämpfe hier nicht für mich als Therese Mitterbauer sondern für meine Generation und für die nächsten Generationen.

derStandard.at: Ok. Bei diesem Thema wird es keine Einigung geben. Reden wir über die Pensionen. Wird es für die Jungen von heute noch ausreichend Geld in der Pension geben?

Kowall: Private Vorsorge oder nicht, das ist egal. Was wir in 30 Jahren verteilen können liegt ausschließlich daran, wie viel Güter und Dienstleistungen wir in 30 Jahren produzieren können.

Mitterbauer: Es hängt mit der Wettbewerbsfähigkeit zusammen.

Kowall: Nein, es ist nicht alles ein Wettbewerb. Es geht in der Wirtschaft darum selbst etwas zu schaffen, nicht immer anderen etwas wegzunehmen. Die Sicherheit der Pensionen hängt damit zusammen, ob der Kapitalstock wächst und welche volkswirtschaftlichen Renditen wir damit in 30 oder 40 Jahren erzielen können.

derStandard.at: Zurück zur Frage, ob wir Pensionen bekommen können oder nicht. Das ist ein großes emotionales Thema unter jungen Menschen.

Mitterbauer: Das ist ein faktisches Thema. Wenn es so weitergeht, dann bekommen wir nur eine geringe Pension, von der wir sicher nicht leben können. Deswegen fordern wir schon seit Jahren, dass sich am Pensionssektor endlich etwas tut, dass wir das faktische Pensionsalter anheben, dass alle Schlupflöcher -wie die Hacklerregelung – sofort geschlossen werden. Das ist keine Angstmacherei. Wir werden eine ältere Gesellschaft. Das kann sich nicht ausgehen, da brauchen wir gar nicht darüber diskutieren, das ist eine Milchmädchenrechnung.

Kowall: Bei den Maßnahmen bin ich wieder bei Frau Mitterbauer, die Motive sehe ich etwas anders. Ich verstehe die Hysterie nicht. Die Pensionskommission hat vorgerechnet, wie sich die Beiträge bis 2050 entwickeln werden.

Mitterbauer: Nur wenn wir ein super Wirtschaftswachstum haben.

Kowall: 1,5 Prozent! Das ist wirklich moderat gerechnet.

Mitterbauer: Wir haben trotzdem immer mehr ältere Menschen, die wir erhalten müssen. Da rede ich gar nicht von der Pflege.

Kowall: Es gibt auch gegenläufige Trends, etwa steigendes Wachstum und steigende Frauenbeschäftigung.

derStandard.at: Themenwechsel: Die Industrie beklagt, dass immer weniger Jugendliche in Österreich eine Lehre machen wollen. Herr Kowall, hat sich die Arbeiterpartei zu wenig für das Image der Arbeiter und für den Lehrberuf eingesetzt?

Kowall: Die Sozialdemokratie hat die Berufsschulen und die Frage nach einer dualen Ausbildung in den letzten Jahrzehnten total vernachlässigt. Warum gibt es nicht ein System, wo die Grenzen zwischen Höherer Technischer Lehranstalt und Lehre verschwinden, wo man nach fünf Jahren mit Matura und Lehrabschluss abschließt. Wir haben da massiven Aufholbedarf.

derStandard.at: Frau Mitterbauer, wo versagt das System?

Mitterbauer: Das Problem ist von Anfang an da. Wir müssen in der frühkindlichen Ausbildung und in der Volkschule ansetzen. Wir kriegen heute keine guten Lehrlinge mehr. Wir müssen teilweise Staatsaufgaben übernehmen und Lehrlinge in Bereichen nachschulen, was Aufgaben und Anforderungen der Volks- und Hauptschulen betrifft.

derStandard.at: Wie wollen Sie das ändern?

Mitterbauer: Es wird ständig darüber gesprochen, aber umgesetzt wird überhaupt nichts. Wir brauchen ein neues Lehrerdienstrecht und ein neues Besoldungsrecht. Leistung muss auch bezahlt werden. Es muss auch die gesamte Ausbildung der Lehrer reformiert werden.

derStandard.at: Sehen Sie das genauso, Herr Kowall?

Kowall: Ja, wir brauchen Lernpläne statt Lehrplänen. Die Schule ist ein bürokratisches Monstrum aus Zeiten der Monarchie, wo alle Schüler über einen Kamm geschoren werden. Wir sollten viel mehr versuchen auf sie individuell einzugehen, auf die Geschwindigkeit ihrer Entwicklung, auf ihre Fähigkeiten. Wir dürfen nicht immer nur auf das Schlechte hindreschen, wir müssen das Gute fördern. Die Oberstufenreform ist ein entscheidender Schritt. Ich bin auch ein Anhänger der Frühförderung im Kindergarten und der Gesamtschule. Wir sollen versuchen eine maximale Durchmischung zu Stande zu bringen, wo es im Einklang mit den Lehrerinnen und Lehrern möglich ist, dass die Kinder die mehr Wissen mitbringen, die anderen auch mitnehmen.

derStandard.at: "Leistung muss sich lohnen" ist eine der Lieblingsphrasen von der ÖVP. Können Sie etwas mit dem Begriff anfangen, Herr Kowall?

Kowall: Ich seh den Großteil der arbeitenden Menschen als Leistungsträger. Eine Pflegekraft oder ein Busfahrer sind für mich Leistungsträger ebenso wie Unternehmer, weil sie zu dem gesamten Werkl einen Beitrag leisten. Wo ich keine Leistungsträger sehe, sind Leute die ein Arbeitsloseneinkommen aus Zinsen und Vermögen beziehen. Das sind Nichtleistungseinkommen.

derStandard.at: Ab wann ist man ein Leistungsträger, Frau Mitterbauer?

Mitterbauer: Für mich ist ein Leistungsträger jemand der seine volle Arbeitskraft und sein Wissen dafür einsetzt, mehr zu schaffen. Das ist für mich Leistung. Zwei von drei Arbeitsplätzen hängen von der Industrie und vom industrienahen Sektor ab. Die Industrie ist für mich ein Leistungsträger. Trotzdem gibt es im gemeinnützigen Sektor viele Menschen, die viel leisten und unabkömmlich sind.

derStandard.at: Lohnt es sich heute noch sich für Politik zu engagieren?

Mitterbauer: Ich bin ja in keiner Partei, aber ich glaube man muss sich für seine Prinzipien und für den Staat engagieren. Ich werde immer wieder gefragt, warum ich das mache. Ich möchte Österreich verbessern. Ich bin in einem hervorragenden Land aufgewachsen, das soll für die nächsten Generationen erhalten bleiben. Dafür gilt es sich zu engagieren. Ob das im Rahmen einer Partei, eines Vereins oder einer NGO ist, ist eine andere Diskussion. Ich persönlich bin mit dem Rahmen der IV derzeit sehr zufrieden.

Kowall: Bis auf die kleine patriotische Note sehe ich das genauso. Sich für die Gesellschaft zu engagieren, heißt einen Ort zu suchen, wo ich meine Prinzipien und Ideale verwirklichen kann. Ich hoffe, dass es die Sozialdemokratie ist. Ob das mit diesem alten Tanker möglich ist, wird man in den nächsten Jahren sehen. (Katrin Burgstaller, Marie-Theres Egyed, derStandard.at, 13.7.2011)