Bis zum 2. August müssen die USA die Schuldenobergrenze anheben - sonst verwandelt sich Washington in Athen. Eine Einigung ist aber nicht in Sicht.
Noch vor einigen Tagen standen die Zeichen dabei auf einem unerwarteten Erfolg. Es sah nicht nur nach irgendeinem Kompromiss, sondern gar nach einem großen Wurf aus. Barack Obama und John Boehner, der Sprecher des von den Republikanern dominierten House of Representatives, sprachen über Einsparungen um die vier Billionen Dollar.
Zu einer Zeit, da die Arbeitslosenquote in den USA auf fast zehn Prozent hochgeschnellt ist und staatliche Sozialleistungen ohnehin schon ausgehöhlt worden sind, wäre dies für die Bedürftigen im Land zwar extrem bitter gewesen. Immerhin aber wäre eine solche Einigung auch einem Befreiungsschlag gleichgekommen: eine ernst zu nehmende Lösung, die dem amerikanischen Schuldenproblem langfristig auf den Leib rückt und außerdem verhindert, dass schon in ein paar Monaten die nächsten Notverhandlungen ins Haus stehen.
Daraus ist aber nichts geworden. Es ist deshalb durchaus möglich, dass den USA am 2. August tatsächlich das Geld ausgeht. Und sollte dieses Horrorszenario in letzter Minute doch noch abgewendet werden, dann ist der nächste Showdown trotzdem schon vorprogrammiert.
Die Republikaner sind nicht wirtschaftsliberal, sondern raffgierig
Die Gründe für das Scheitern der Verhandlungen zwischen Obama und Boehner sind erschreckend. Zum einen weigerte sich Boehner gänzlich, zur Verbesserung der Staatsfinanzen auch nur die kleinsten Steuererhöhungen in Betracht zu ziehen. Zum anderen fuhren die republikanischen Präsidentschaftskandidaten, die momentan - so scheint es - vor allem darum konkurrieren, so unstaatsmännisch wie möglich dreinzuschauen, Boehner in die Parade: ihnen wäre es am liebsten, verlautbarten sie in Interviews und Werbespots, wenn die USA die Schuldenobergrenze überhaupt nicht anheben würde. Ganz nach dem Motto: nach meiner Wahl die Sintflut ...
Das ist ein politisches Armutszeugnis, und zwar gleich in dreifacher Hinsicht. Zum Ersten zeigt es auf, zu welchem Grade die Spitzengarde der Republikaner der Tea Party nach dem Mund redet, statt selber als Meinungsmacher aufzutreten. Dem wirtschaftlich viertelinformierten Durchschnittswähler mag es nach einer guten Idee klingen, wenn dem Staat, als wäre er Otto Normalverbraucher mit Spielsucht, die Kreditkarte einfach mal weggenommen wird. Aber wer in der noch immer größten Volkswirtschaft der Welt das Sagen haben will, sollte wissen, wie verheerend der dann resultierende Staatsbankrott wäre.
Zum Zweiten beweist der Kamikazekurs der Republikaner, dass es sogenannten deficit hawks, die sich gerne als kompromisslose Kämpfer gegen das staatliche Budgetdefizit inszenieren, eigentlich um etwas ganz anderes geht. Würden sie sich wirklich um das Budgetdefizit sorgen, so wären ihnen Steuererhöhungen genauso genehm wie Ausgabensenkungen. Tatsächlich aber ließ Eric Cantor, der Fraktionsvorsitzende der Republikaner im US-Abgeordnetenhaus, vielversprechende Verhandlungen mit Vizepräsident Joe Biden platzen, weil er nicht bereit war, Steuerschlupflöcher für Hedgefonds, Ölfirmen und Besitzer von Privatflugzeugen zu stopfen.
Zum Dritten legt dies nahe, dass es den Republikanern nicht mal um die freie Marktwirtschaft geht. Wer Billionen an Ausgabeneinsparungen ablehnt, um für Besitzer von Privatflugzeugen Steuerschlupflöcher zu bewahren, der begeistert sich nicht für Adam Smith - sondern für die Wahlkampfspenden seiner Milliardärsfreunde. Von einer Partei, die sich, wie die Republikaner einstmals, für eine extreme Form des Laissez-Faire-Liberalismus einsetzt, mag man halten, was man will - aber man muss ihr immerhin zugestehen, prinzipientreu zu sein. Für die heutigen Republikaner dagegen sind solche Prinzipien höchstens ein öffentlichkeitswirksamer Slogan, um die eigene Raffgier zu kaschieren.
Der Streit wird verheerend enden
Demokraten und Republikaner spielen das, was man in den USA a game of chicken nennt. Sie sitzen in derselben schlecht gebauten Seifenkiste, und rasen in atemberaubenden Tempo auf eine tiefe Schlucht zu. Aber statt zusammen zu versuchen, den Karren irgendwie unter Kontrolle zu bringen, warten sie darauf, wer zuerst die Nerven verliert und von Bord springt - in der Hoffnung, das Steuer dann alleine zu übernehmen.
Wie dieses Spiel ausgeht, ist vorhersehbar, denn es endet immer auf die gleiche Weise: die Demokraten werden zuerst die Nerven verlieren. Sie sind zu verantwortungsvoll, um den Staatsbankrott wirklich zu riskieren. Schweren Herzens werden sie um fünf vor zwölf deshalb fast alle republikanischen Forderungen abnicken.
Der Schuldenstreit wird deshalb verheerend enden. Empfänger der ohnehin mageren Arbeitslosenhilfe oder der staatlichen Krankenversicherung werden tiefe Einschnitte erleben, während die Milliardäre keinen Cent mehr für ihre Privatjets werden zahlen müssen. Und spätestens in einem Jahr geht die ganze Posse von vorne los.
Noch schlimmer ist vielleicht, dass es kaum danach aussieht, als könnten sich die USA in den nächsten Jahren zu weitreichenden Reformen durchringen. Die wahrscheinlichste Prognose lautet deshalb: die ernsthaften Probleme des Landes bleiben weiter bestehen. Unterdessen werden, so wie es sich die heutigen Republikaner anscheinend wünschen, die Armen noch ärmer und die Reichen noch reicher. (derStandard.at, 12.7.2011)