
In dem Projekt "Counter Phrases" zelebrieren die Tänzer von Rosas die Hochzeit von Bild, Ton und Tanz - vor dem Hintergrund belgischer Parkanlagen
Wien - Seit jeher begleitet Musik, ob zur Untermalung oder als Rhythmusträger, den Tanz. Ausnahmen gibt es: Manche Choreografen konterten mit Stille; andere fanden neue Wege wie Merce Cunningham und John Cage, die beide Kunstsparten als autonom betrachteten, sich bloß auf ein Zeitmaß einigten und die Endprodukte unvermittelt nebeneinander stellten.
Anne Teresa De Keersmaeker dreht den Spieß um: Gemeinsam mit ihrem langjährigen künstlerischen Partner, dem Komponisten und Regisseur Thierry De Mey, hat sie eine bereits fertige Choreografie auf Film gebannt, in "short cuts" segmentiert und neun Musikern als Kompositionsauftrag vorgelegt.
Das Resultat heißt Counter Phrases, wird vom flämischen Ictus Ensemble unter Georges-Elie Octors live interpretiert und gelangt am Samstag im Rahmen des 31. Internationalen Musikfests im Konzerthaus in Kooperation mit den Wiener Festwochen und ImPulsTanz zur Aufführung.
Die choreografische Basis bildet das 2002 anlässlich des 20-jährigen Rosas-Jubiläum entstandene Keersmaeker-Stück April me, welches schon beim letzten ImPulsTanz-Festival zu sehen war. Daraus nahm die Choreografin das Bewegungsmaterial, formte losgelöst vom Bühnenwerk Soli, Duos, Trios, Quartette und Gruppentänze neu.
Gedreht wurde in von Landschaftsarchitekt Erik Dhont ausgesuchten belgischen Gärten, in artifiziell angelegten Parks vor und zwischen Rhododendron und Hortensie, auf naturbelassenen Wiesen, am Rande eines Seerosenteiches und in den weitläufigen Räumen des Rosas-Studios.
Thierry De Mey, erfahren im Umgang mit zeitgenössischem Tanz, setzt mit seiner ganz individuellen Aufnahme- und Schnitttechnik eigene Akzente, steigert die Dynamik, macht aus dem Vorhandenen eine eigene Filmchoreografie. Er hat auch eine Komposition selbst beigesteuert. Die anderen stammen u. a. von Jonathan Harvey, Magnus Lindberg und Steve Reich.
Die rund fünf Minuten langen, von Vogelgezwitscher, Keuchen und Schrittlauten begleiteten Filmparts, haben die zwanzig Musiker des Ictus Ensembles den einzelnen Komponisten zugeordnet. Die wiederum hatten freie Hand bei der Wahl der Instrumente.
Beim Pressegespräch anlässlich der Uraufführung im März im Brüsseler Art-déco-Palais des Beaux-Arts wurde bereits deutlich: Jonatan Harvey ließ sich vom impressionistischen Hintergrund und den Gesten der Tänzer leiten; Georges Aperghis übernahm die Struktur des Filmduktus; Luca Francesconi orientierte sich am Gesamtbild.
Der 2000 Sitze zählende Konzertsaal war bei der Premiere des prominent besetzten Events ausverkauft. Nach der Aufführung hatte man allen Grund zum Jubeln: Counter Phrases ist eben ein akustisch wie visuell erfahrbares Ereignis, das als Einheit zu betrachten ist. Der Fokus richtet sich auf den Film, der auf drei parallel hängenden Screens präsentiert wird und diverse Sichtweisen ermöglicht, mit Vergrößerung, Verdichtung und Weite spielt. Eine animierende Bilderflut durch Ictus' Klangwelten. (DER STANDARD, Printausgabe, 23.5.2003)