
Ramallah.
„Alles was du hier siehst, die protzigen Autos und schönen Einfamilienhäuser, lebt von Krediten", sagt der Bankier Ibrahim, der im Café Ali Baba in Ramallah gemütlich seine After-Work-Wasserpfeife raucht. Vom oft zitierten Wirtschaftsboom in der „Hauptstadt des Westjordanlandes" will er nichts wissen, auch wenn er überdurchschnittliche 1.400 Dollar im Monat verdient. Aber nur, weil er schon „ewig" in derselben Bank angestellt sei. Auch das Management der „Bank of Palestine" bestätigt, dass vor allem junge Männer sehr häufig Kredite aufnehmen. Sie wollen das Leben jetzt genießen, weil ohnehin bald wieder die nächste Krise komme. „Die Ruhe der letzten Jahre ist für die Menschen hier kein Normalzustand. Ihr Instinkt sagt ihnen, dass bald wieder alles schlechter werden kann", erklärt Ibrahim.
Besorgt blicken viele in Richtung September, der Zeitpunkt zu dem sich die Palästinenserführung von der Uno-Generalversammlung den Segen für einen eigenen Staat holen will. „Viele haben einfach Angst, dass die politische Situation dann eskaliert", sagt der Bankangestellte im weißen Hemd mit eng geschnürter Krawatte. Er denkt kurz nach, nimmt einen Zug von der Wasserpfeife und bläst den Rauch beim Fenster hinaus. „Aus Angst vor schlechteren Zeiten, lässt gerade jeder sein Geld zu Hause", fügt er hinzu. Eine zusätzliche Anregung zum Sparen ist auch die aktuelle Kampagne der „Bank of Palestine". Wer dort jetzt ein Sparkonto eröffnet, hat angeblich jeden Tag die Chance 10.000 Dollar zu gewinnen.
Auf palästinensische Massendemonstrationen nach der „Staatsgründung" im Spätsommer könnten auch militärische Maßnahmen Israels folgen. Die Angst vor den wirtschaftlichen Konsequenzen einer solchen Eskalation im September ist sicher nicht unbegründet. Laut Weltbank hat sich die palästinensische Wirtschaft immer noch nicht von der zweiten Intifada erholt. Auch die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) ist schwer unterfinanziert und rund 15.000 Beamte warten immer noch auf die zweite Hälfte ihrer Gehälter, die wegen „gebrochenen Versprechen" von ausländischen Geldgebern nicht ausbezahlt werden können, wie der palästinensische Premierminister Salam Fayyad Anfang Juli erklärte. Mit mehr als 500 Millionen-Euro Defizit könne sich die PA selbst Bankkredite nicht mehr leisten, heißt es.
Zumindest im Café Ali Baba, wo man für einen Euro eine Tasse Kaffee bekommt, machen die Gäste einen zufriedenen Eindruck. Immerhin ist der Arbeitstag vorüber. Von hier aus kann man das Treiben in den belebten Straßen von Ramallah gut beobachten. Mit seinen hunderten Modegeschäften, einem neu renovierten Zentrum und einem lebhaften Nachtleben strahlt die Stadt im Westjordanland zumindest um einiges heller als das nur etwa 20 Kilometer entfernte Ostjerusalem. Eine Fassade die bald wieder zusammenbricht? Die nahe Zukunft wird es zeigen. (Andreas Hackl, derStandard.at, 14.7.2011)