Heimliche Dates: Alba Rohrwacher und Pierfrancesco Favino.

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Wien - Liebe macht blind, lautet eine bekannte Redensart. Das lässt sich durchaus anders sehen. Liebe vermag, wenn sie einen überrascht, auch den Blick auf bestehende Lebenssituationen zu schärfen. Anna (Alba Rohrwacher), der Protagonistin aus Silvio Soldinis Filmdrama Was will ich mehr (Cosa voglio di piú), ergeht es so: Sie lebt gemeinsam mit Alessio (Giuseppe Battiston), ihrem gutmütigen Freund - seine Leibesfülle unterstreicht es noch - behaglich, vertraulich, zurückgezogen. Bis sie sich eines Tages in einen anderen verliebt.

Dass sie sich ihrer Sache nicht sicher ist, erkennt man schon daran, wie zögerlich sie auf Alessios Kinderwunsch reagiert. Aber erst in dem Moment, als sie auf Domenico (Pierfrancesco Favino) trifft, sich mit ihm heimlich verabredet und plötzlich wieder wie ein Teenager versteckt in Hauseingängen knutscht, beginnt sie bewusst an ihrem Beziehungsalltag zu zweifeln. Doch weder sie noch Domenico, der verheiratet und Vater zweier kleiner Kinder ist, können ihre neu entdeckte Leidenschaft offen ausleben. Ihre Affäre, aus der schnell mehr wird, ist auf wenige Stunden pro Woche in einem Motel beschränkt.

Soldini, dem mit der romantischen Komödie Brot und Tulpen 2000 ein veritabler Arthouse-Erfolgsfilm gelang, geht diese Geschichte einer unmöglichen Liebe mit einer Ernsthaftigkeit an, die sich an präzise eingefangenen Details zeigt. Anders als in Patrice Chéreaus Intimacy wird nicht primär der Sex und das körperliche Verlangen ins Zentrum gerückt - bei ihren Treffen im etwas schmierigen Ambiente des Motels sind die beiden von ihrer füreinander empfundenen Lust eher ein wenig überrascht; die größere Aufmerksamkeit gilt dem Drama der Unvereinbarkeit der Gefühle mit den bestehenden Verhältnissen und dem Leidensdruck, der daraus entsteht. Es ist ein Nebensatz, aber nichtsdestoweniger markant, wenn Domenico einmal sinngemäß meint, dass Liebe eben auch einen ökonomischen Faktor habe.

Eine weitere Stärke von Was will ich mehr sind seine beiden zentralen Darsteller, die Figuren verkörpern, die zu den eigenen Gefühlen eine Art schamhafte Distanz einnehmen. Domenico kommt zwar aus Kalabrien, ist aber keineswegs der Gigolo, den man klischeehaft mit Männern aus dem Süden assoziiert. Die eigentliche Entdeckung aber ist Alba Rohrwacher, deren Anna noch in den mutigsten Momenten eine Aura der Verletzlichkeit umgibt. (Dominik Kamalzadeh / DER STANDARD, Printausgabe, 14.7.2011)