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Angela Merkel applaudierte ihrem Förderer zuletzt beim Tag der Einheit 2010. Heute schimpft Helmut Kohl über ihre EU-Politik.

Foto: AP/Sohn

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Die Kritik am Krisenmanagement in der EU wächst. Nach Monaten des Hin und Her werden besonders Stimmen gegen Angela Merkel laut. Selbst der einstige Mentor der deutschen Bundeskanzlerin kritisiert sie scharf.

Berlin/Wien – Die schlechte Verfassung der Europäischen Union ruft nun auch politisch Altvordere mit deutlichen Worten auf den Plan: Am Wochenende kritisierte der deutsche Altbundeskanzler und frühere CDU-Vorsitzende Helmut Kohl die Europapolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel scharf. Ein namentlich nicht genannter Vertrauter, der den "ewigen Kanzler" zuletzt besucht hat, berichtete dem Spiegel, Kohl halte Merkels Europapolitik für "sehr gefährlich" . Er habe wörtlich gesagt: "Die macht mir mein Europa kaputt", zitiert das Magazin den ehemaligen Weggefährten.

Kohl war von 1982 bis 1998 Regierungschef, mit dem französischen Präsidenten François Mitterrand und Kommissionschef Jacques Delors gilt er als Vater der Währungsunion und des Euro.

Auch andere prominente CDU-Politiker warnen laut Spiegel Merkel angesichts der Eurokrise davor, das europafreundliche Erbe der Partei zu verspielen. "Europa ist ein politisches Projekt. Es ist zu wichtig, um es den Ratingagenturen zu überlassen" , sagte der hessische Ministerpräsident und stellvertretende CDU-Chef Volker Bouffier. Ebenso vermisst der Wirtschaftsflügel der Partei eine klare Linie in der Europapolitik. "Das Letzte, was sich eine Exportnation Deutschland leisten kann, ist eine europaskeptische Bevölkerung" , sagte der Chef des CDU-Wirtschaftsrats, Kurt Lauk. "Die Regierung muss jetzt in die Offensive gehen."

Kohl selbst hatte schon Mitte Mai besorgt vor einer Renationalisierung in Europa gewarnt und Solidarität mit angeschlagenen Staaten wie Griechenland gefordert. "Wer sagt, wir müssen alles abschaffen und neu anfangen, der täuscht sich" , sagte der 81-Jährige. "Wir müssen diesen Weg weitergehen, so schwierig er auch sein kann." Deutschland sei immer dann erfolgreich gewesen, wenn es auch für andere dagewesen sei, betonte Kohl.

"Nirgends Führungsstärke"

Auch der frühere Kommissionspräsident und italienische Ex-Premier Romano Prodi äußerte sich ähnlich wie Kohl: "Ich erkenne in der EU nirgends Führungsstärke. Auch große Länder sind nur mehr mit sich selber beschäftigt" , sagte Prodi dem Profil. "Wer übernimmt derzeit die Verantwortung für die europäischen Interessen? Niemand!" Die Deutschen sähen sich als "Märtyrer" in Europa, "ohne zu beachten, dass gerade der Euro Deutschland stärker als früher gemacht hat" , klagt Prodi. Frankreich trete "nur noch symbolisch für Europa ein" . Italien habe "aufgehört, eine wichtige Rolle auf der europäischen Bühne zu spielen. Es sitzt auf der Ersatzbank."

Auch Prodi kritisiert die deutsche Bundeskanzlerin, die "wichtige Entscheidungen wegen lokaler Wahlen verschoben hat" . Auch Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi habe "den Großteil des Budgetsparprogramms auf die Jahre 2013 bis 2014 verschoben." Prodi glaubt an den Fortbestand des Euro, "aber wir werden durch eine lange, lange Periode von Turbulenzen und Chaos gehen." Der Umschwung werde erst dann eintreten, "wenn die Märkte erkennen, dass das US-Budget in viel schlimmerer Verfassung ist als die Verschuldung Europas."

Bürger erwärmt sich nicht

Zunehmende Skepsis über das europäische Projekt tritt aber auch bei noch aktiven Politikern auf. Zuletzt hatte Jean-Claude Juncker erklärt, er sei "über die Gesamtentwicklung europäischer Politik in hohem Maße besorgt" . Er sehe, dass der Bürger sich vom Angebot der Europa-Politik "eigentlich nicht erwärmen lässt und nicht in helle Begeisterung verfällt" . Der Regierungschef Luxemburgs und Vorsitzende der 17 Staaten zählenden Eurogruppe steht seit Monaten im Zentrum des Kampfes gegen die akute Schuldenkrise in der Währungsunion.

"Ich bin sehr besorgt, dass man denkt, die Krise in Griechenland sei Euro-bedingt", sagt er: "Was ja nicht der Fall ist." Seine "vorläufige Schlussfolgerung aus dem aktuellen Geschehen" sei deshalb, "dass wir mehr Europa brauchen". Ohne Euro, so sein Credo, wäre die EU in der Finanzkrise "in alle Richtungen aufgebrochen".(red/DER STANDARD, Printausgabe, 18.7.2011)