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Für Peter Bofinger ist Feuer am Dach: Jetzt sofort sei es an der Politik zu handeln, um die Eurokrise in den Griff zu bekommen.

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Griechische Proteste: Das Land braucht eine Entschuldung.

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Die Eurozone müsse sich aus dem Würgegriff der Märkte befreien.

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Wirtschaftsweiser Peter Bofinger sieht im derStandard.at-Interview die Eurozone am Scheideweg. Die Politik müsse sich nun dringend zusammenreißen. Als einzige Chance sieht er, "dass man jetzt versucht, in der Fiskalpolitik soweit voranzuschreiten, dass man eine gemeinsame Verschuldung in der Form von Eurobonds durchführt." Eine strengere Kontrolle sei durch eine Institution zu gewährleisten, die nicht - wie jetzt im Falle der Finanzminister - direkt involviert sei. "Diese Institution wäre für mich das Europäische Parlament." Die Ratingagenturen sind für Bofinger maßgeblich mitbeteiligt an der Krise. Nun gelte es, sich aus dem Würgegriff der Märkte zu befreien.

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derStandard.at: Herr Bofinger, wir haben dieser Tage sehr viele Ökonomen recht skeptische Dinge in Sachen Zukunft der Währungsunion sagen hören. Könnten Sie bitte diesen Kreislauf durchbrechen und mit etwas Positivem aufwarten?

Peter Bofinger:
Naja. Wir haben jetzt in der Eurokrise eine ähnliche Situation erreicht wie im Oktober 2008 bei der Finanzkrise, wo die Politik sich dringend zusammenreißen muss und nicht weiter eine Politik des Durchwurschtelns verfolgen kann.

derStandard.at: Damit wären wir schon beim Wort Vertrauenskrise. Die hält sich jetzt eigentlich schon recht hartnäckig über einen langen Zeitraum. All die Milliarden konnten das Vertrauen nicht zurückbringen, was könnte es dann?

Bofinger:
Wir haben ein Grundproblem, das darin besteht, dass wir jetzt mit der Währungsunion ein instabiles System haben. Wir haben eine gemeinsame Währung, aber wir haben in der Fiskalpolitik keine ausreichende Integration, weil die noch entscheidend national ist. In diesem institutionellen Zwischenstadium kann man in der jetzigen Krise eigentlich keine vernünftigen Lösungen schaffen. Das erklärt die Blockade der Politik.

derStandard.at: Ist das Problem erkannt?

Bofinger: Ich würde einmal sagen, die Politik ist im Augenblick wie paralysiert.

derStandard.at: Ein schlechter Zeitpunkt, oder?

Bofinger: Die einzige Chance, dass die Situation nicht noch schlimmer wird, ist, dass man jetzt versucht in der Fiskalpolitik soweit voranzuschreiten, dass man eine gemeinsame Verschuldung in der Form von Eurobonds durchführt. Das würde zugleich bedeuten, dass man dann in der Fiskalpolitik sehr viel striktere Kontrollen hat.

derStandard.at: Aber man wollte sich ohnedies auf die Regeln des Stabilitätspaktes zurückbesinnen.

Bofinger: Aber der Stabilitätspakt ist einfach nicht strikt genug. Zum einen, weil die Kontrolle durch die Finanzminister untereinander stattfindet, und die ist dann von vornherein nicht stringent. Wenn diese Finanzminister Schulden haben, werden sie nicht bereit sein, die anderen streng zu kontrollieren. Das heißt, man muss eine Institution haben, die nicht direkt involviert ist, und das wäre für mich das Europäische Parlament. Zum anderen kommt der Stabilitätspakt immer im Nachhinein zum Tragen. Man braucht etwas, damit die Länder immer im Vorhinein ihre Budgets vorlegen müssen, um zu verrhindern, dass sie Schulden eingehen, die für die Stabilität der Währungsunion nachteilig sind.

derStandard.at: Das klingt nach weiterem Diskussionsbedarf. Was soll inzwischen mit akuten Fällen wie Griechenland geschehen?

Bofinger: Da ist einfach das Problem, dass man sich nicht traut ranzugehen, weil man diese Währungsunion im jetzigen Zustand nicht richtig absichern kann. Die Angst einer EZB, dass bei einer Umschuldung eine unkontrollierbare Ansteckungsgefahr auf andere Länder besteht, ist ja berechtigt.

derStandard.at: Aber so eine Lösung, wie Sie sie vorschlagen, wäre doch nicht von heute auf morgen möglich?

Bofinger: Wenn es brennt, gehen solche Sachen auch schneller. Denken Sie nur an die Krise im Oktober 2008 zurück.

derStandard.at: Sie haben vor rund einem Jahr gemeint, so eine Pleite würde die Eurozone durchaus verkraften?

Bofinger: Das würde ich zum jetzigen Zeitpunkt ungern wiederholen.

derStandard.at: Das heißt, man muss jetzt Griechenland mitschleppen, für Athen ein zweites Hilfspaket schnüren...

Bofinger: Die Griechen brauchen Entschuldung. Alleine schon deswegen, damit das Land eine Perspektive bekommt. Das Problem in Griechenland ist ja, dass man dort jetzt riesige Sparanstrengungen unternimmt, aber wenn die Wirtschaft immer schlechter wird, sind wenige Erfolge erkennbar.

derStandard.at: Und die griechischen Bürger sind schon äußerst unglücklich, so wie die Italiener jetzt langsam unglücklich werden und die Portugiesen es ebenfalls sind.

Bofinger: Die Gefahr ist, dass wir, wenn man diesen Marktdruck sich austoben lässt, Europa langsam kaputtsparen. Wir müssen dahin gehen, dass man sagt, die Politik muss sich aus dem Würgegriff von Märkten und Ratingagenturen befreien.

derStandard.at: Sie haben die großen Ratingagenturen der Mitschuld an der Krise bezichtigt. Jetzt klopfen die durchaus auch den USA auf die Finger. Stimmt Sie das nicht ein bisschen sanfter?

Bofinger: Ich kann nur feststellen: Die Ratingagenturen haben eigentlich die Boomphase verstärkt, bis zum Ausbruch der Krise. Sie haben auch im Fall Griechenlands nicht erkannt - was leicht zu erkennen gewesen wäre - ,dass das Land permanent zu hohe Defizite hatte, dass die Defizite im Nachhinein auch höher waren, als sie ursprünglich genannt wurden. Außerdem haben die Ratingagenturen Griechenland bis zum Jahr 2006 ständig besser geratet.

derStandard.at: Das Vertrauen in die Ratingriesen scheint aber allenfalls ein bisschen angekratzt ...

Bofinger: Das Problem ist, dass die Ratingagenturen unter den jetzigen Bedingungen eine unheimlich starke Rolle haben. Wenn man da jetzt zum Beispiel nicht den Mut hat, griechische Anleihen in europäische Anleihen umzutauschen, dann hängt man eben voll und ganz von den alten Einschätzungen der Ratingagenturen ab.

derStandard.at: Was würde eine europäische Ratingagentur bringen?

Bofinger: Die würde in der jetzigen Situation nichts Grundlegendes ändern.

derStandard.at: Wir haben jetzt viele Diskussionen und Vorschläge rund um Finanzmarktregulierung und Europäische Wirtschaftregierung. In welchem Zeitraum müsste sich denn etwas wirklich Grundlegendes bewegen?

Bofinger: Sofort. Die Frage ist jetzt einfach, ob wir wollen, dass die Währungsunion von den Märkten regiert wird, oder ob wir jetzt Lösungen finden, wie wir es schaffen, dass die Zukunft der Währungsunion in den Händen des Europäischen Parlaments liegt. (Regina Bruckner, derStandard.at, 18.7.2011)