Bisher ließ sich die Affäre um Rupert Murdochs Einfluss auf die wichtigsten Akteure der britischen Politik noch mit einer gewissen Distanz verfolgen. Gewiss war es zu einer ungesunden Nähe gekommen zwischen dem US-australischen Medienmagnaten und den Ministern Ihrer Majestät; gewiss bedarf das inzestuöse Verhältnis von Medien und Politik der Aufklärung und Reinigung. Aber die Hast, mit der sich frühere Günstlinge - angeführt von Expremier Gordon Brown - plötzlich von ihrem Gönner distanzierten, entbehrte nicht einer gewissen Komik. Wirtschaftsminister Vincent Cable, der im Winter fast seinen Job verloren hatte, weil er Murdochs Übernahme des Satellitensenders BSkyB verhindern wollte, brachte es auf den Punkt: "Das ist wie nach dem Sturz eines Diktators - plötzlich waren alle immer schon dagegen."

Der Rücktritte des höchsten britischen Polizeibeamten, Paul Stephenson, und seines Stellvertreters verändern die Lage schlagartig. Nun geht es nicht mehr nur um Murdochs Profite und Zivilcourage von Politikern. Wenn die wichtigste Strafverfolgungsbehörde des Landes kopflos wird, steht die nationale Sicherheit auf dem Spiel. Der Kampf gegen Terrorismus, der Schutz der Metropole, die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele im kommenden Jahr, die Bewachung der Königsfamilie - Londons 52.000 Polizisten haben alle Hände voll zu tun. Sie brauchen so rasch wie möglich eine energische, neue Führung.

Stephensons Rücktrittserklärung hebt aber auch die Abhöraffäre auf eine neue Ebene. Dem Polizeiführer hatte das konservative Trio von Premier, Innenministerin und Londons Bürgermeister ja zwei Vorwürfe gemacht: dass seine Behörde für ein Jahr den früheren Vize-Chef der News of the World (NoW) als PR-Berater beschäftigte; und dass Stephenson seinen politischen Vorgesetzten nicht viel früher davon berichtete.

Zu Recht weist der Beamte verklausuliert auf die Heuchelei der Politiker hin: Wenn Scotland Yard nicht den Vize, der damals noch als unbescholten galt, beschäftigen durfte - warum warb dann der damalige Oppositionsführer David Cameron den früheren NoW-Chef Andy Coulson an? Warum nahm er Coulson gegen den ausdrücklichen Rat seiner liberalen Koalitionäre mit in die Downing Street? Warum bewirtete er ihn noch im März dieses Jahres auf dem Landsitz des Premierministers in Chequers?

Der Polizeipräsident zog aus diesem unerklärlichen Naheverhältnis den gleichen Schluss, den jetzt die Labour-Opposition dem Land einhämmert: Camerons Urteilsvermögen war auf katastrophale Weise beschädigt, dem Premier war nicht zu trauen. Wären nicht Informationen über das laufende Ermittlungsverfahren umgehend bei seinem "Freund Coulson" (O-Ton Cameron) und dessen Vize gelandet? Deshalb, so sagt es Stephenson durch die Blume, habe er im Ermittlungsverfahren der konservativen Troika keine Informationen geben können.

Die Spindoctoren der Downing Street tun Stephensons politische Handgranate als Gemaule eines beleidigten Spitzenbeamten ab. Sicher spricht Frust aus den Worten des Polizeipräsidenten, der sich durch die Annahme eines kostenlosen Kuraufenthaltes im Wert von 13.700 Euro angreifbar gemacht hat. Aber den Fragen nach seinem Urteilsvermögen kann Cameron nicht mehr ausweichen. Von seiner Freunderlwirtschaft mit den Murdoch-Leuten muss er sich ein für allemal verabschieden. (Sebastian Borger /DER STANDARD, Printausgabe, 19.7.2011)