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Anna Stöhr: "Es ist nicht so, dass ich mit dem Klettern aussorgen könnte. Das ist weit gefehlt. Aber ich studiere nebenher, damit ich danach was habe."

Foto: APA/ PARIGGER

"Bouldern ist hundertprozentig sicher", sagt die frischgebackene Boulder-Weltmeisterin Anna Stöhr. Warum man beim Klettern keine Angst haben muss und welche Rolle Fastfood und Gummibärln in ihrer Ernährung spielen, erzählt die Tirolerin im derStandard-Interview. Sie berichtet von den obligatorischen Aufenthalten in der Isolationszone, erklärt, warum man einen Spotter mit zum Klettern nimmt und macht klar, was sie von Gwichtln schupfen hält. Mit der Frage zur Meinung bezüglich geplanter Bundeshymnen-Änderung hätte sie nicht gerechnet, viel wichtiger ist ihr natürlich das bevorstehende Duell um den Gesamtweltcup.

derStandard.at: Haben Sie den Erfolg bei der WM im italienischen Arco, wo sie Boulder-Weltmeisterin wurden, schon realisiert?

Anna Stöhr: Eigentlich hab ich ihn noch nicht ganz realisiert, muss ich sagen. Das wird noch ein Zeiterl dauern. Es bestand doch ein großer Unterschied zur WM 2007, als ich mir als No-Name den Erfolg geschnappt habe. Diesmal war ich in der Favoritenrolle und das war dann doch etwas anderes, weil es im Halbfinale zuerst einmal doch eher schlecht ausgeschaut hat.

derStandard.at: Wettkampfmäßig sind Sie fast ausschließlich im Bouldern erfolgreich. Warum liegt Ihnen diese Disziplin so besonders?

Stöhr: Weil es sehr kraftvoll und dynamisch ist. Und das sind meine Stärken. Früher bin ich auch beim Vorstieg an den Start gegangen, aber dann habe ich gesehen, dass Bouldern mehr mein Ding ist, dass es mir besser liegt und taugt und deshalb habe ich mich dann spezialisiert. Beides auf Topniveau zu machen ist eigentlich kaum möglich.

derStandard.at: Wie kann sich der Laie das vorstellen? Warum ist Bouldern kraftvoller und dynamischer als der Vorstieg?

Stöhr: Beim Bouldern geht es um kurze Routen und deshalb braucht man einfach viel mehr Maximalkraft. Beim Vorstieg geht es über eine lange Distanz und da spielt Ausdauer eine wichtigere Rolle. Es gibt da große Unterschiede, man kann das nicht vergleichen.

derStandard.at: Wie und wann begann der Ausflug in steilstes Gelände?

Stöhr: Ich bin durch meine Eltern zum Klettern gekommen, sie haben mich und meine Schwester immer mitgenommen. Mit acht Jahren bin ich dann in ein Kletterteam rund um Reinhold Scherer und Rupert Messner nach Innsbruck gekommen und da hab ich dann so richtig angefangen zu trainieren.

derStandard.at: Wie sieht das Training aus? In welchem Umfang wird trainiert?

Stöhr: Der Trainingsumfang ist schon recht groß. Ich mache fünfmal die Woche drei bis vier Stunden ausschließlich Körpertraining. Dabei geht es eben sehr viel um die Maximalkraft.

derStandard.at: Wird in erster Linie in der Kraftkammer gearbeitet?

Stöhr: Viele meiner Konkurrentinnen gehen in die Kraftkammer, ich aber habe mit "Rupi" Messner so ziemlich das ganze Training in die Kletterwand verlagert, weil man das an der Wand auch sehr gut machen kann und weil es mir besser taugt, als Gwichtln schupfen. Da bin ich motivierter und kann für mich mehr rausholen, als wenn ich ins Fitnessstudio gehen würde.

derStandard.at: Muss man als Kletterprofi ernährungstechnisch besondere Vorkehrungen treffen, um die Linie zu halten?

Stöhr: Prinzipiell ist es ja schon so, dass man gegen die Schwerkraft kämpft, sozusagen, und je leichter umso besser natürlich. Aber man darf nicht vergessen, dass auch die Muskeln eine wichtige Rolle spielen und wenn man zu leicht ist, dann hat man die Muskeln nicht mehr. Bei mir ist es so, dass ich gar nicht auf die Ernährung achten muss. Ich schaue, dass ich mich ausgewogen ernähre, aber ich verzichte nicht auf Gummibärln oder ein Eis da in Arco. Ich esse sicher nicht einmal die Woche Fastfood, aber wenn man sich gesund ernährt, dann passt das eigentlich eh. Vielleicht hab ich auch gute Gene. (lacht)

derStandard.at: Wie wird man eine gute Boulderin?

Stöhr: Das wichtigste ist die Power, die Maximalkraft. Man muss aber insgesamt auch sehr vielseitig sein, man muss dynamisch sein, aber auch teilweise statische Züge bewältigen können und auch im Kopf muss man extrem fit sein. Beim Bouldern geht es extrem viel um den Kopf, weil man ja doch mitkriegt, ob die Konkurrentin den Boulder schafft oder nicht. Damit muss man gut umgehen können. Man muss eine gute mentale Strategie haben, um den Wettkampf zu bewältigen.

derStandard.at: Trainieren Sie auch die Psyche?

Stöhr: Ich arbeite mit einer Mentaltrainierin, mit Sportpsychologin Simone Tscherntschitz aus Innsbruck. Das hilft mir schon sehr weiter. Da werden die mentalen Strategien vorbereitet. Es ist aber nicht so, dass jeder mit einem Mentaltrainer arbeitet. Es kommt halt darauf an, welcher Typ man ist. Manchen liegt das, manchen taugt das weniger.

derStandard.at: Können Sie vom Klettern leben?

Stöhr: Ja, ich kann davon leben. Aber es ist schon so, dass es begrenzt ist, solange man erfolgreich klettert. Es ist nicht so, dass ich damit aussorgen könnte. Das ist weit gefehlt. Aber ich studiere nebenher, damit ich danach was habe.

derStandard.at: Ist auch manchmal Angst vor dem Sturz oder Versagen dabei?

Stöhr: Angst vor dem Versagen habe ich jetzt eigentlich nicht. Das wäre die falsche mentale Strategie (lacht). Angst habe ich beim Klettern überhaupt nicht mehr, ich bin das ja von Kind an gewohnt. Früher habe ich mich vielleicht schon ein bisschen gefürchtet, aber man kriegt eine Routine und es ist ja nicht gefährlich. Das Bouldern ist hundertprozentig sicher, deshalb muss man vor einem Verletzungsrisiko null Angst haben.

derStandard.at: Klettern Sie abseits der Wettkämpfe, wenn es höher hinaus geht, ausschließlich gesichert oder auch frei?

Stöhr: Das kommt darauf an. Wenn ich Vorstieg-Klettern, also Sportklettern gehe, dann bin ich mit einem Seil gesichert und wenn ich Bouldern gehe, dann habe ich eine Matte mit. Das ist dann ganz ähnlich wie beim Wettkampf. Man schaut auch, dass man einen Spotter hat, der einen sicher auf die Matte bringt, weil man ja nicht immer weiß, wie man fällt. Deshalb bin ich bei beiden Varianten sicher.

derStandard.at: Bei Wettkämpfen gibt es eine Isolations-Zone, in der man warten muss, bis man an der Reihe ist. Wie verbringen Sie dort die Zeit?

Stöhr: In der Iso-Zone ist man zunächst einmal zum Aufwärmen. Ich wärme zirka eine Stunde auf und habe eine halbe Stunde vor dem Start Pause und da blödelt man halt mit seinen Kollegen rum.

derStandard.at: Wie steht es aktuell um den medialen Rummel? Ist der noch erträglich?

Stöhr: Der ist eigentlich sehr erträglich. Klettern ist ja doch nur eine Randsportart (lacht). Vielleicht ein Vorteil.

derStandard.at: Ihr Partner Kilian Fischhuber hat als Vierter eine Medaille verpasst. Wie groß ist die Enttäuschung?

Stöhr: Die Enttäuschung ist sicher sehr groß. Er ist mit dem Ziel runtergefahren, Weltmeister zu werden und wenn das nicht aufgeht, ist das natürlich bitter. Das ist klar. Aber den Gesamtweltcup hat er schon in der Tasche, deshalb war er ja auch der große Favorit.

derStandard.at: Kilian Fischuber ist fünffacher Gesamtweltcupsieger, bei der WM hat es bisher noch nicht ganz nach Wunsch geklappt.

Stöhr: Bei der WM sind zwei Tage entscheidend an denen man topfit sein muss und alles passen muss. Und bei Kilian hat am Sonntag nicht alles richtig reingespielt. Es geht eben extrem schnell, dass es nicht passt. Ein bissl Glück hat halt gefehlt.

derStandard.at: Wie sehen Sie die geplante Bundeshymnen-Änderung?

Stöhr: (lacht) Gute Frage. Mit der hätte ich jetzt nicht gerechnet. Ich denke mir, das ist schon ein altes Lied. Ob man da die Töchter reinzwängen muss? Vielleicht sollte man doch etwas Neues schreiben. Ich weiß nicht, was gescheiter ist. So wichtig ist mir das dann aber auch nicht, auch wenn ich die Hymne öfter höre, wenn ich am ersten Platz bin.

derStandard.at: Sie sind zweifache Weltmeisterin im Bouldern (2011, 2007), Europameisterin (2010), Gesamtweltcupsiegerin (2008). Welche sind die nächsten Herausforderungen?

Stöhr: Als nächstes steht der Weltcup in München an. Am dritten August-Wochenende wird der heurige Gesamtweltcup entschieden. Und der ist ein großes Ziel für mich.

derStandard.at: Wie sieht es in der Gesamtwertung aktuell aus?

Stöhr: Ich führe fünf Punkte vor der Japanerin Akiyo Noguchi und wer in München die bessere Platzierung erreicht, gewinnt. Einfache Rechnung (lacht). (Thomas Hirner, derStandard.at, 20. Juli 2011)