Christian Felber

Foto: Heribert Corn

Die Aneinanderkettung von Großbanken und Staaten hat ein Monster kreiert, das dem internationalen Finanzsystem zum Verhängnis wird: Der Zusammenbruch ist nur mehr eine Frage der Zeit.

Die Anzeichen für eine Serie von Staatsinsolvenzen verdichten sich. Das wirklich Düstere ist die logische Konsequenz: ein weltweiter Bankenkrach. Der Hauptgrund: das ungelöste Problem systemrelevanter Banken. Solange es sie gibt - und sie wurden in der ersten Krisenwelle sogar noch größer gemacht (Deutsche Bank, Bank of America), hängen Staaten und Systembanken auf schicksalshafte Weise aneinander und werden sich früher oder später gegenseitig niederreißen.

Der Reihe nach: Dass Griechenland nicht mehr gerettet werden kann, ist "gegessen". Die Frage ist nur, wann und wie tief der Schuldenschnitt kommt. Auch wenn die Staatsanleihen "nur" um 50 Prozent entwertet werden, müsste man eine Reihe griechischer Großbanken verstaatlichen, zumal die von ihnen gehaltenen Staatsanleihen bis zum Fünffachen ihres Eigenkapitals ausmachen. Werden ihre Schulden aber nicht bedient, tritt eine Kettenreaktion ein, die den Effekt des Teilausfalls der Staatsanleihen noch verstärkt. Das Eurosystem könnte den "Default" Griechenlands überleben. Doch in dem Moment, in dem Griechenland offiziell insolvent ist, beginnt die Wettjagd auf den nächsten Kandidaten; und wie es derzeit aussieht (Zinsbildung auf freien Märkten, private Ratingagenturen, freier CDS-Handel), endet die Jagd erst, wenn der Euro gefallen ist. Den Rettungsschirm kann man wegwerfen, sobald der erste "Elefant" um Rettung ansucht. Der Schirm beträgt jetzt "netto" 500 Milliarden Euro, Italiens Auslandsschuld 1,1 Billionen Euro. Selbst eine – politisch kaum tragbare - Schirmerweiterung auf 1,5 Billionen wird das Problem nicht lösen.

Zu erwarten ist, dass die "schwachen" Staaten zunächst die Banken in den "starken" Staaten mitreißen und diese wiederum "ihre" Staaten: Der deutsche Rettungsschirm umfasst 500, der österreichische 100 Milliarden Euro. Werden sie zur Gänze in Anspruch genommen, muss das noch nicht den sofortigen Staatsbankrott bedeuten, aber es beginnen dann ähnliche Dynamiken wie bei den mediterranen Vorreitern: Wucherzinsen, schlechtes Rating, Wetten auf Staatsinsolvenzen mit CDS ... Über kurz oder lang fallen alle.

Per 31. März 2011 stützte der österreichische staatliche Rettungsschirm die Banken in Österreich mit 26,5 Milliarden Euro (Kommunalkredit acht, Raiffeisen sechs, Erste fünf, Volksbank vier Bawag 0,5 Milliarden), bei der nächsten Welle könnte es um einiges mehr sein. Wenn die Staaten die Banken nicht mehr auffangen können, müssen die Banken verstaatlicht werden, was noch kein großes Problem sein muss: Die Staaten könnten das Kerngeschäft der Banken herauslösen und fortführen: Spareinlagen, Zahlungsverkehr, Kredite. Doch wenn die verstaatlichten Banken ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen (können), weil die Staaten ja selbst insolvent sind, tritt eine weltweite Kettenreaktion ein: Banken müssen überall verstaatlicht werden und reißen – infolge der Verstaatlichung ihrer Schulden – weitere Staaten in die Insolvenz. Dann hilft vielleicht nur noch beten.

Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Die Herstellung globaler Finanzmärkte war ein politischer Systemfehler. Statt "allokativer Effizienz" wurde ein "Monster" (© Horst Köhler) kreiert, das sich gerade selbst zerstört und seine Meister – Staaten, allen voran die EU – mit in den Abgrund zieht.

Die Alternative besteht aus einem dichten Netz kleiner und vor allem gemeinwohlorientierter Genossenschaftsbanken und Sparkassen, ergänzt um konservativ agierende Landes- oder demokratische Banken. Das Gewinnmotiv hat bei den Banken genauso wenig zu suchen wie in Volksschulen, Pflegeheimen oder Stadtwerken. Würde man die gewinnorientierten Banken, wie es sich gehört, dem Markt überlassen, es hätte nie ein Problem gegeben: "Freier Markt" würde nämlich bedeuten: 1.) keine staatliche Garantie der Spareinlagen, 2.) kein Zugang zur Zentralbank, 3.) keine staatliche Kreditaufnahme, 4.) keine staatliche Rettung = die Banken müssen klein bleiben und werden nicht auf "systemrelevante" Größe zugelassen.

Doch genau das, die Heranzüchtung "global wettbewerbsfähiger" Großbanken, war das Ziel des EU-Finanzbinnenmarktes. Dabei wurde "übersehen": Global Player sind zwingend logisch zugleich systemrelevant. Ein Meisterstück der politischen Täuschung: Im Namen der Durchsetzung des "freien Marktes" wurde dieser zugleich abgeschafft. Die Öffentlichkeit wurde zum Narren gehalten. Das Grundmissverständnis der Neo-, Ordo- und Optimismusliberalen ist, dass der Staat die Banken nicht mehr regulieren kann, wenn er ihnen zunächst erlaubt, dem globalen Gewinnstreben zu frönen. Dann versuchen sie nicht nur jeden zu übervorteilen (z. B. die ÖBB, Landeswohnbaugesellschaften oder Gemeinden), sondern auch Gesetze zu beugen und Staaten zu korrumpieren. Mächtige Großbanken sind das Ende der Demokratie.

Die Aneinanderkettung von Großbanken und Staaten wird der EU gerade zum Verhängnis und führt sie auf einen Scheideweg: Auf der einen Seite wächst die Gefahr des Zerfalls und des Wiederauflebens des Nationalismus, auf der anderen winkt die Chance für einen demokratischen Neuanfang mit echter Subsidiarität, direkter Demokratie und alternativer Ökonomie. (Kommentar der anderen, DER STANDARD, Printausgabe, 20.7.2011)