Für 83 Cent pro Tag jätet der achtjährige Red (links) Unkraut auf der Großfarm eines indischen Geschäftsmanns.

Foto: Hedemann

Addis Abeba - Nur Reds Kopf lugt aus dem Grün hervor. Seit dem frühen Morgen kniet der Junge bei knapp 40 Grad inmitten eines Zuckerrohrfeldes und jätet Unkraut. Ein Inder mit großen Sonnenhut steht über ihm und passt auf, dass er nichts übersieht. Red ist acht Jahre alt. Umgerechnet 83 Cent verdient er, wenn er einen Tag lang auf dem Feld im Westen Äthiopiens schuftet.

Aufgrund einer verheerenden Dürre sind in Äthiopien derzeit 4,5 Millionen Menschen auf Lebensmittelhilfslieferungen angewiesen. Doch der indische Farmpächter will in spätestens drei Jahren Millionen verdienen, indem er im Hungerland Äthiopien mithilfe von Kinderarbeit produzierte Lebensmittel exportiert. Im zwölftärmsten Land der Welt hat das "Landgrabbing", der Wettlauf um riesige landwirtschaftliche Flächen, gerade erst begonnen.

Run auf landwirtschaftliche Flächen

"Noch ist hier überall Wildnis, aber bald wird hier alles ordentlich aussehen, und wir werden unter anderem Zuckerrohr und Ölpalmen anbauen", tönt Karmjeet Singh Sekhon, während er sich in einem Pickup über seine Farm kutschieren lässt. Rechts und links der Piste brennt das bislang unberührte Buschland. Der 68-jährige Inder ist Manager einer gigantischen Farm im Westen Äthiopiens, die bald 300.000 Hektar umfassen soll - das ist größer als Luxemburg.

Beschleunigt durch den Anstieg der Lebensmittelpreise auf dem Weltmarkt begann 2008 ein Run auf landwirtschaftliche Flächen in Afrika, Südamerika und Asien. Ein Weltbank-Report von 2010 kommt zu dem Ergebnis, dass alleine im Jahr 2009 weltweit 45 Million Hektar Land verpachtet wurden. Zwischen 1998 und 2008 waren es rund vier Millionen pro Jahr. Vor allem Länder wie Indien und die Golfstaaten wollen so den Hunger ihrer wachsenden Bevölkerungen stillen oder Ernten erzielen, um damit auf dem Weltmarkt zu handeln.

Importierte Notnahrung

In Äthiopien starben bei einer Hungerkatastrophe vor 26 Jahren über eine Million Menschen. Der Großteil der Notnahrung, die jetzt im Land verteilt wird, wird importiert. Kein Problem, findet Farmmanager Sekhon. "Ein Teil unserer Produktion bleibt im Land, und der Export bringt Devisen, mit denen Äthiopien auf dem Weltmarkt einkaufen kann."

Die äthiopische Regierung erhofft sich von der Verpachtung riesiger Flächen an ausländische Investoren den dringend benötigten Modernisierungsschub für die Landwirtschaft. Im Land am Horn von Afrika gibt es keinen privaten Landbesitz, alles Land - insgesamt 111,5 Millionen Hektar - gehört dem Staat. Dreiviertel davon sind für die Landwirtschaft geeignet, doch bislang werden nur 15 Millionen Hektar bestellt. 3,6 Millionen Hektar hat die Regierung jetzt für Investoren ausgezeichnet.

"Davon ist bislang nichts passiert"

Doch nicht alle glauben, dass das Fortschritt bringt. Bauer Ojwato steht auf seinem knapp einen Hektar großen Feld. Ojwato macht es wütend, dass die neben seinem Feld angebauten Lebensmittel exportiert werden sollen, während er und seine Familie regelmäßig auf Hilfslieferungen angewiesen sind. "Als die Ausländer mit ihren großen Maschinen kamen, haben wir sie willkommen geheißen. Sie haben uns versprochen, dass sie uns Strom, Wasser und Krankenhäuser bringen. Davon ist bislang nichts passiert. Sie haben nur ein paar von uns schlechtbezahlte Arbeit gegeben", sagt der Bauer. (Philipp Hedemann aus Addis Abeba, DER STANDARD, Printausgabe, 21.7.2011)