
Christina Höfferer, "Bella Arcadia". € 25,- / 216 S. Styria-Verlag, Wien/Graz 2011
Oft sind es nur imaginäre Welten, die Abbilder des kollektiven Gedächtnisses ausmachen. Die Vorstellung einer Stadt oder einer Landschaft rührt vielfach von artifiziellen Imaginationen, die uns Künstler durch ihre verschriftlichten oder auf Zelluloid gebannten Gedankenwelten vermitteln. Realität und Variation derartiger cinematografischer Visualisierungen und literarischer Freiheiten hinterfragt Christina Höfferer in Bella Arcadia.
Die Italien "verfallene" Kulturhistorikerin und Radiojournalistin recherchierte den Wahrheitsgehalt solcherart tragende Rollen spielender Personen und Orte. Sie besuchte das sagenumwobene Antico Caffè Greco in Rom, die Casa Morpurgo in Triest, Venedigs Friedhofsinsel San Michele und andere Orte, die Künstler aller Sparten und aller Herren Länder inspiriert haben. Ihre Reportagen führen zu real existierenden, naturgemäß künstlerisch modifizierten Schauplätzen wie in die von Giorgio Bassani beschriebenen Gärten der Finzi Contini, in Cesare Paveses Ferrara oder in das von Fellini in Amarcord zu einem Tempel des Hedonismus überhöhte Grand Hotel in Rimini. Höfferer versucht aufzudecken, wer oder was Cantautore wie Gianmaria Testa oder Paolo Conte zu poetischen Versen provoziert hat, wo die fragilen Skizzen des jungen Pasolini entstanden sind, wie Keats, Byron, Casanova, Carlo Scarpa oder Eleonora Duse gelebt haben.
Auch unbekannte, geheimnisvolle Refugien im Piemont, auf Sardinien, die Nekropolen von Cerveteri, jüdische Friedhöfe sowie die Stadt Bra, in der die Slowfood-Bewegung ihren Ursprung fand, erfreuen sich der luziden Beachtung. Die Summe der Miniaturen ergibt erneut jenes Vexierbild, das wir von dem verehrten, geachteten wie verachteten Land haben: Kultur und Geschichte, Melancholie, Lebensfreude, das Pittoreske, "charme désolée", die Farben des Azur und des Firmaments, wahnwitzige Fernsehshows, Kunst, Intellekt, dröhnende Vespas, das Hupen knatternder Autos, kontemplatives Zirpen in der Stille der toskanischen Dämmerung und das Rauschen des Meeres. Mosaiksteine, zusammengefügt zu Reisen im Kopf. (Gregor Auenhammer / DER STANDARD, Printausgabe, 2./3.7.2011)