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Reinigungseffekt per Satire: Cover des Boulevardblatts "N.Y. Post" zur Rasierschaumattacke gegen Murdoch, nachempfunden von "Vanity Fair" online. Rechtlich ist die Sache etwas komplizierter.
Die Aufarbeitung des Skandals rund um News International, den britischen Teil des Imperiums von Rupert Murdoch, wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen - sowohl als Kriminalfall rund um illegales Abhören und polizeiliche Korruption als auch als (medien)politisches Lehrstück über Kultur, Praktiken und Ethik der Presse. Schon heute aber kann man sagen, dass dieser Skandal auch für das Medienrecht nicht ohne Auswirkungen bleiben wird.
Im Vereinigten Königreich selbst wird ernsthaft über eine stärkere Presseregulierung nachgedacht, vor allem über eine neue Presse-Regulierungsbehörde nach dem Vorbild des Rundfunkregulators Ofcom. Diese Behörde soll die Einhaltung journalistischer Standards überwachen, selbst Regeln aufstellen und auch Strafbefugnisse haben. Vom Konzept her unterscheidet sich eine solche Presseaufsicht damit kaum vom ungarischen Modell, dem nicht zu Unrecht mit Skepsis begegnet wird.
Aus europäischer Perspektive - und damit auch für Österreich - stellt sich zudem die Frage, ob und wie sich das Verhalten von News of the World und anderer britischer Tabloids auf die Beurteilung von Beschränkungen der Pressefreiheit durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) auswirken könnte.
Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert die Freiheit der Meinungsäußerung. Gestützt auf dieses Grundrecht beurteilt der EGMR nicht nur Zensur im engeren Sinn als unzulässig, sondern stößt sich immer wieder auch an indirekten Beschränkungen der Pressefreiheit, die sich z.B, aus Formvorschriften oder Haftungsbestimmungen ergeben können. Maßgebend ist die abschreckende Wirkung, die von solchen Regeln auf die Ausübung des journalistischen Berufs ausgehen kann. Der EGMR verwendet dafür den aus der amerikanischen Rechtssprache übernommenen Begriff der "chilling effects" (abkühlende Wirkungen). Erst vor kurzem hat der EGMR im Fall Wizerkaniuk solche abkühlenden Effekte in den Bestimmungen des polnischen Pressegesetzes erkannt, nach denen Interviews vor Abdruck von den Interviewten autorisiert werden müssen.
Auch wo die Ausübung der Pressefreiheit in Konflikt mit dem Grundrecht auf Schutz des Privatlebens kommen kann, steht der EGMR vorherigen Beschränkungen von Veröffentlichungen ablehnend gegenüber. Daher scheiterte auch Max Mosley, in dessen Privatsphäre News of the World durch Veröffentlichung von Bildern aus seinem Sexualleben massiv eingegriffen hatte, vor dem EGMR mit dem Anliegen, die Presse solle die Opfer ihrer Enthüllungsgeschichten vor der Veröffentlichung verständigen. Nicht zuletzt wegen der "chilling effects", die eine solche Vorverständigungspflicht auf zulässige Meinungsäußerungen haben könnte, lehnte der Gerichtshof diesen weitreichenden Eingriff ab und verwies auf die bestehenden Möglichkeiten, z.B. nach erfolgter Veröffentlichung Schadenersatz zu verlangen.
Nicht alle Richter des EGMR sehen allerdings "chilling effects" grundsätzlich als negativ an. Der zypriotische Richter Loucaides etwa sprach sich im Fall Lindon im Jahr 2007 explizit für Regeln aus, die einen "chilling effect" auf unverantwortlichen Journalismus haben sollten. Im bereits erwähnten Fall Wizerkaniuk wiederum wiesen die polnischen und montenegrinischen Richter des EGMR nachdrücklich auf die Gefahren journalistischen Missbrauchs hin. In der heutigen Welt, so ihre Auffassung, könne die Presse nicht immer die Opferrolle für sich reklamieren, sondern unterminiere oft in böser Absicht die Integrität anderer Personen; dieser veränderten Situation müsse sich auch der Gerichtshof stellen. Diese Aussagen sind umso bemerkenswerter, als der konkret entschiedene Fall nicht die geringsten Anhaltspunkte für unzulässige oder unseriöse Praktiken der beteiligten Journalisten erkennen ließ.
Im Fall Mosley wurde, auch wenn der Beschwerdeführer letztlich erfolglos blieb, das Unbehagen mit der Vorgangsweise der News of the World trotz aller richterlichen Zurückhaltung sehr deutlich gemacht. Der EGMR betonte, dass die Funktion der Presse als öffentlicher Wachhund zwar bei der Berichterstattung über Fakten eine enge Auslegung jeglicher Beschränkungen und einen "robusten Schutz" der Meinungsäußerungsfreiheit erfordere. Anders aber bei reißerischen, bloß unterhaltenden Berichten, mit denen Neugierde bestimmter Leserkreise an privaten Details gestillt werden soll - in solchen Fällen könnte die Meinungsäußerungsfreiheit (zum Schutz der Privatsphäre) auch stärker beschränkt werden.
Die Entscheidung im Fall Mosley ist noch nicht endgültig. Max Mosley hat die Verweisung an die Große Kammer des EGMR beantragt, die allerdings nur in Ausnahmefällen, wenn es um eine schwerwiegende Frage von allgemeiner Bedeutung geht, möglich ist. Aber auch wenn die Große Kammer den Fall nicht annehmen sollte, könnte es angesichts der immer deutlicher zu Tage tretenden Praktiken von Krawallblättern à la News of the World vielleicht nur mehr eine Frage der Zeit sein, bis eine Mehrheit im EGMR ausdrücklich Gefallen zumindest an einem "soft chill" für solchen Schmuddeljournalismus findet.
Die wirklich spannende und kritische Frage ist dann, ob und wie die Abgrenzung zu jenem Journalismus gezogen werden kann, dem der "robuste Schutz" der Meinungsäußerungsfreiheit nach Artikel 10 der Menschenrechtskonvention ungeschmälert zukommt. Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass gewiss wünschenswerte "chilling effects" gegenüber verantwortungslosen Skandalblättern sich letztlich auch abkühlend auf seriösen Journalismus auswirken könnten. (Kommentar der anderen, Hans Peter Lehofer, DER STANDARD; Printausgabe, 23./24.7.2001)