Oslo - Der geständige norwegische Attentäter Anders Behring Breivik hat in einem rund 1500 Seiten starken "Manifest" sein monströses Handeln zu rechtfertigen versucht. Nach Lage der Dinge fühlte Breivik sich persönlich dazu aufgerufen, Europa "vor dem Kulturmarximus und der Islamisierung" zu retten.

Die Marxismus-Phobie nicht nur einzelner Wirrköpfe, sondern der gesamten extremen Rechten fußt auf einem schwer fassbaren Ressentiment. In der Wolle gefärbten Marxisten begegnet man in der westlichen Welt allenfalls noch auf einigen Lehrstühlen, gelegentlich auf den Feuilletonseiten liberal ummantelter Vierteljahresschriften. Das empirische Anschauungsmaterial ist notgedrungen spärlich: In den politischen Institutionen findet man am ehesten "gezähmte" Sozialdemokraten, deren revolutionäre Begehrlichkeiten sich auf die Reparatur gesellschaftlicher Verwerfungen konzentrieren. Verteilungsdebatten und Gerechtigkeitsanliegen sind das Graubrot einer solchen gemäßigten Linken.

Das Phantom einer linken "Hegemonie" entstammt wohl eher einem Schlagwortkatalog, der aus der marxistischen Moderne stammt. Philosophen wie der Italiener Antonio Gramsci (1891-1937) dachten sehr eingehend über eine "Hegemonie" nach, kraft derer linke Intellektuelle als Leiter und Organisatoren an den Schaltstellen gesellschaftlicher Prozesse zu wirken hätten.

So verstandene Intellektuelle entsprängen aber dem Schoß einer "Revolutionären Partei" - von einer solchen ist, von ein paar Splittergruppen abgesehen, in Europa weit und breit nichts zu sehen. Nicht wesentlich anders verhält es sich mit den gesellschaftlichen Transformationsprozessen: Unsere Gesellschaften entsprechen "psychopolitischen Großkörpern" (Peter Sloterdijk), die sich als Sorgegemeinschaften von den Medien durch die Lancierung von Themen gezielt "stressieren" lassen. Auch läppische Sorgen stiften einen von vielen Rechten unerwünschten, weil zivilgesellschaftlichen Zusammenhang.

Wahrscheinlich aber meint "Kulturmarxismus" bloß das Durcheinanderschießen unverstandener, angstbehafteter Phänomene: ungegenständliche Malerei oder farbige Asylwerber in der Straßenbahn. (poh, DER STANDARD/Printausgabe 25.7.2011)