Bei den in der öffentlichen Wahrnehmung weithin unterschätzten bulgarischen Präsidentschaftswahlen hat sich das Feld der Kandidaten zwar gelichtet, doch wiederum auch sehr verbreitert, was die Vitalität der politischen Klasse in dem kleinen Balkanstaat unterstreicht.
Gewählt wird der protokollarisch höchste Herr oder - eher wahrscheinlich, doch dazu später - die höchste Dame im Staat am 23. Oktober, aus Kostengründen gleichzeitig mit den Bürgermeistern und Stadt- und Gemeinderäten. Die größte Oppositionspartei, die Sozialisten der BSP mit ihrem Wolfgang-Schüssel-Freund Sergej Stanischew als Vorsitzenden und ein wahrer Hort des Pluralismus, haben gerade ihre Kandidatenliste von 60 plus auf einen Namen heruntergekürzt. Das ist dann jetzt Ivailo Kalfin, ein früherer Außenminister der Koalitionsregierung, mit der Bulgarien 2007 in die EU geschlittert ist. Kalfin, der sich derzeit als Europaparlamentarier betätigt, gilt als Mann mit Manieren, der dazu noch politisch dem scheidenden Präsidenten Georgi Parvanow nahesteht. Parvanow, ein Sozialist, der nach zwei Amtszeiten, aber noch deutlich von der Pension entfernt, seine frühere Partei mit vagen Ambitionen nervt (Stanischew absägen, lieber eigene Partei gründen, rote Eminenz spielen), wollte einen Kandidaten mit linker Orientierung. Das soll Kalfin sein, zwei andere haben abgewunken - der frühere Filmschauspieler und Kulturminister Stefan Danailow und der sehr rege Bürgermeister von Blagoewgrad (im Südwesten, an der Straße nach Thessaloniki), Kostadin Paskalew.
Kalfin, das behauptet dieser Tage die bulgarische Tageszeitung Standart (sie hat den Schriftzug unseres Standard übernommen, aber das ist eine andere Geschichte), hat das backing von Ahmed Dogan, dem lange Zeit mächtigen Fädenzieher der bulgarischen Politik und Wirtschaft und Chef der Partei der türkischen Minderheit DPS. Dogan soll Parvanow im Präsidentenpalast besucht und gewissermaßen von Eminenz zu Eminenz einen Handel vorgeschlagen haben für den Verzicht auf einen partei-eigenen, das Stimmenheer nur weiter zersplitternden Kandidaten von der DPS.
Ob das stimmt, wird sich zeigen, wenn Kalfin seine Wahl für den Vize bekannt gibt. Bulgarische Präsidenten haben ganz genauso wie Barack Obama in Washington einen Vizepräsidenten, allerdings ist er weniger bekannt. Der derzeitige, immerhin seit 2002 an Parvanows Seite, heißt Angel Marin und hat Soldat gelernt - Artillerieschule in Leningrad, später, nach der Wende in Bulgarien zum Generalmajor befördert, dann 1998 im Unfrieden mit der damaligen bürgerlichen Regierung aus dem Militärdienst geschieden. Ivailo Kalfins Vize soll von der DPS kommen.
Auf Regierungsseite ist die Angelegenheit noch etwas unklar. Es gibt noch keinen Präsidentschaftskandidaten, Regierungschef Boiko Borissow geht es locker an, der Termin für die Kandidatenenthüllung steht mittlerweile jedoch fest: Sonntag, 4. September, also sieben Wochen vor dem ersten Wahlgang. Es ist nicht sicher, ob das die sommerurlaubenden Bulgaren derzeit wirklich grämt. Wer Gerb wählt, Borissows Partei der Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens, weiß schon, wen er ungefähr auf dem Stimmzettel sieht: Sofias Bürgermeisterin Jordanka Fandakowa, Innenminister und Vizepremier Zwetan Zwetanow oder aber einen dritten starken Kandidaten - etwa Borissow selbst, wenn es ihm am Ende doch so einfällt. Geplant war diese Entschlusslosigkeit nicht. Sie ist eher Ausdruck der Schwierigkeiten, in die Borissows populistische Mitterechts-Regierung angesichts ausbleibender konjunktureller Verbesserungen geraten ist.
Fandakowa wäre gleichwohl die eine aussichtsreiche Präsidentschaftskandidatin in Bulgarien, die frühere EU-Kommissarin Meglena Kunewa ist die andere. Eine dritte Politikerin tritt auch an: Dushana Sdrawkowa, ehemalige Europaabgeordnete und Richterin, die sich mit der Gerb verkracht hat und zumindest von der Presse als mögliche Tandempartnerin für den Kandidaten der Unterwelt, Alexei Petrow alias „Oktopus" alias „Traktor", gehandelt wird. Eher schwierig.
Kunewa aber gilt derzeit als Favoritin. Sie ist wie Fandakowa rhetorisch ungleich gewandter als die Herren, weltläufiger, politisch irgendwo in der Mitte, eine Bürgerseelenversteherin, wie sie immer betont, und nicht durch Skandale und Skandälchen der bulgarischen Innenpolitik belastet. Die ehemalige Chefunterhändlerin für Bulgariens EU-Beitritt wird von ihrer früheren Partei der Königstreuen unterstützt; die Sozialisten hatten auch ein wenig hin- und herüberlegt, bevor sie sich auf ihren Kalfin festlegten. Kunewa hat es im Gegensatz zu den anderen Kandidaten bereits in die Slavi-Show geschafft.
Die Frage ist, wie sich das alles bulgarisch wahlarithmetisch ausgeht. Für einen Sieg in der ersten Runde wären 50 Prozent der Wählerstimmen notwendig. Nicht leicht. Bei der letzten Präsidentschaftswahl 2006 gingen knapp 42 Prozent ins Wahllokal. Amtsinhaber Georgi Parvanow, der zwar 64 Prozent erhielt, musste in die zweite Runde - gegen den Führer der rechtsextremen Ataka, Wolen Siderow (21,5 Prozent in der ersten, 24,1 Prozent in der Stichwahl); in der zweiten Runde ist die Wahlbeteiligung nicht mehr entscheidend.
Siderow tritt auch dieses Mal an. Mit anti-türkischen und anti-amerikanischen Aktionen hat er sich rechtzeitig zur Wahl wieder in Erinnerung gerufen. Sein 20-Prozent-Potenzial wird er behalten haben. Ob es im Oktober für den Einzug in die Stichwahl reicht, ist nicht so sicher. Kunewa, Kalfin und der/die Gerb-Kandidat(in) könnten alle mehr haben.