Es gab aber keinen Hinweis, dass er zu diesem Ausmaß von Gewalt bereit war.

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In einer knappen Stunde hat der Norweger Anders Behring Breivik am Freitag in Polizeiuniform mindestens 85 junge Menschen der sozialdemokratischen Jugendorganisation auf der Fjordinsel Utöya erschossen. Die Polizei gab zunächst wenig preis über den 32-Jährigen, der die Taten gestand, ohne sein eigentliches Motiv zu nennen. Er sei rechtsextrem und habe angedeutet, seine Tat zu erklären, hieß es lediglich.

Breivik scheint mit seinem Schweigen zum Motiv das Interesse der Welt auf sich und eine Art Botschaft bündeln zu wollen. Was er getan habe, sei „scheußlich, aber notwendig", ließ er über seinen Anwalt ausrichten. Auf die Frage der Zeitung Dagbladet an den Anwalt, ob sein Mandant die Tat bereue, sagt dieser: „Es ist schwierig, das zu kommentieren."

Seine Meinungsäußerungen im Internet deuten auch nicht darauf hin, dass der bei seinen Mitmenschen anscheinend beliebte Mann einsam war. Er scheint auch keinen Wunsch nach Aufmerksamkeit gehegt zu haben. Die Nachbarn in Oslo, wo Breivik aufwuchs, beschreiben ihn und seine 60-jährige Mutter als ganz gewöhnliche, nette Leute. Er ging auf das Handelsgymnasium in Oslo und war mehrere Jahre aktives Mitglied in der rechtspopulistischen Fortschrittspartei. 2002 war er für wenige Monate sogar Vorsitzender einer Stadtteilgruppe der Partei, die Umfragewerte von bis zu 30 Prozent hat (siehe Interview). Bestätigt wurde, dass Breivik Mitglied eines Freimaurer-Ordens war.

Ein Jugendfreund berichtete der Zeitung VG, dass Breivik, der als intelligent und belesen galt, erst mit Ende 20 rechtsextrem wurde. Seine Idee sei es gewesen, sich als Unternehmer im Handel mit Computern oder Gemüse eine wirtschaftliche Grundlage zu schaffen, um seine politischen Ansichten zu verfechten.

Diese hat Breivik in zahlreichen Internetdiskussionsforen vertreten. Dabei lobte er unter anderem den niederländischen Islamkritiker und Rechtspopulisten Geert Wilders. Breiviks Hass auf Muslime und Immigranten wird offenbar nur noch von jenem auf die einflussreiche Arbeiterpartei übertroffen. Breivik schimpft in akademischer Sprache über Seilschaften, über die „Stoltenberg-Jugend" und über eine Arbeiterpartei, die ihr Volk an Muslime verkaufe. Er wolle Europa vor „Marxismus und Islamisierung" retten. Im 1500-Seiten-Manifest, das er unmittelbar vor den Anschlägen im Internet abschloss, wird der „Name des Teufels" genannt: „Kultureller Marxismus, Multikulturalismus, Globalisierung, Feminismus, Selbstmord-Humanismus, Gleichheit". Indirekt kündigte er dort das Massaker an: „Die Zerstörung der multikulturellen Regimes Europas wird weder einfach noch schmerzlos. Doch sobald du dich zum Angriff entscheidest, ist es besser, zu viele als zu wenige zu ermorden."

Aber es gab sonst keine Hinweise darauf, dass Breivik seinen Worten auch Taten folgen lassen würde. Seine Waffen, eine Pistole und zwei automatische Gewehre, waren ordnungsgemäß angemeldet. Er ging regelmäßig zu einem Schützenklub in Oslo. In seinem Strafregister ist bis auf ein paar leichtere Verkehrsdelikte vor vielen Jahren nichts zu finden. Über sein eigenes Handelsunternehmen für Gemüse und Rotfrüchte im Örtchen Rena bestellte er völlig legal große Mengen an Kunstdünger, die er vermutlich zur Herstellung der Bombe in Oslo benutzte. (André Anwar /DER STANDARD, Printausgabe, 25.7.2011)