Fethiye Cetin, die Anwältin der Familie, zeigte sich nach der Urteilsverkündung zufrieden. Eine folgerichtige Entscheidung sei dies gewesen, sagte sie Montagnachmittag vor dem Gebäude des Jugendgerichts im Istanbuler Altstadtviertel Sultanahmet. Zu 22 Jahren und zehn Monaten Haft verurteilte das Gericht Ogün Samast, den Mörder des armenisch-türkischen Publizisten Hrant Dink. Mehr als vier Jahre nach der Tat, die die Türkei erschütterte, sind die Hintermänner des politischen Mordes aber der Öffentlichkeit noch unbekannt.
Samast, zur Tatzeit ein 17-jähriger Arbeitsloser aus der Schwarzmeerstadt Trabzon, einer Hochburg der türkischen Nationalisten, hatte Dink am 19. Jänner 2007 vor dem Verlagsgebäude der Zeitung Agos aufgelauert und ihn mit drei Schüssen niedergestreckt. Dink war einer der einflussreichsten Wortführer der türkisch-armenischen Gemeinschaft. Als Herausgeber der zweisprachigen Wochenzeitung Agos drängte er auf eine Aufarbeitung der Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich. Er wurde damit zu einer Hassfigur der muslimischen Rechtsnationalisten.
Samast versuchte im Schlussplädoyer des Prozesses seine Tat zu erklären und warf den Medien im Land vor, sie hätten ihn mit ihrer Berichterstattung zu dem Mord angestachelt. "Wie sonst hätte ich von Hrant Dink oder Agos gewusst, wenn sie nicht darüber geschrieben hätten? ", sagte er.
Im Oktober 2010 war Samasts Verfahren von dem Prozess gegen 18 andere Beschuldigte abgetrennt und an ein Jugendgericht überwiesen worden. Das erklärt den nun vergleichsweise raschen Richterspruch gegen den heute 21-Jährigen. Der Prozess gegen die mutmaßlichen Organisatoren des Mordes läuft dagegen seit Juni 2007 ohne erkennbare Fortschritte. Im September 2010 war die Türkei vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zur Zahlung von 100.000 Euro Schmerzensgeld an die Familie Hrant Dinks verurteilt worden. Die türkische Polizei wusste von den Mordplänen gegen den renommierten Publizisten, habe es aber unterlassen, sein Leben zu schützen, hieß es in der Begründung der Straßburger Richter. Vergangenen Juni verurteilte dann auch ein Gericht in Trabzon deshalb zwei Armeeoffiziere zu mehrmonatigen Haftstrafen. (Markus Bernath aus Istanbul, STANDARD-Printausgabe, 26.7.2011)