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"Sich klar und wortstark gegen Islamophobie positionieren", fordert Farid Hafez.

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Eine Teilnehmerin einer Juso-Protestaktion gegen Thilo Sarrazin geht mit gutem Beispiel voran.

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Es wurde schon von einigen Kommentatoren angemerkt, dass es fatal wäre, den Fall Anders B. als Einzelfall abzutun und in diesem Zusammenhang auf das rechtsradikale Milieu sowie rechtspopulistische Parteien mit dem Argument hingewiesen, dass deren radikale Botschaften indirekt die Hemmschwelle für derartige Terrorakte herabsetzen würden. - Ich teile diesen Befund, möchte ihn aber noch um einen Aspekt erweitern. Auffallend ist zunächst, dass eine der Speerspitzen der islamfeindlichen Polemik im Internet, "politically incorrect" kürzlich zwar zu ein paar nachdenklichen und selbstkritischen Worten gefunden hat (vom Standard an dieser Stelle am vergangenen Montag dokumentiert) dann aber gleich wieder zurück zur gewohnten Tagesordnung überging. "Warum bombt Islam ausgerechnet in Oslo?" hieß es noch am 22. Juli, um am 25. Juli die Frage aufzuwerfen, warum Udo Ulfkottes Online-Portal "Akte Islam" vom Netz genommen wurde (kürzlich sah dieser im Ehec-Darmbakterium einen "Fäkalien-Dschihad" gegen Deutschland). Die Kommentare darunter (z. B. "Faschislam ist die Geburt eines Geisteskranken") sind so widerlich und hasserfüllt wie das Pamphlet des norwegischen Massenmörders. Die selbstkritischen Worte scheinen also nicht mehr als ein kurzer Zwischenruf der Menschlichkeit gewesen zu sein.

An dieser Stelle sei jedoch der Blick nicht alleine auf den rechtsrechten Rand gelenkt. Damit ich nicht missverstanden werde: Natürlich dürfen die "rechten Hassprediger", wie Van der Bellen den österreichischen Parteivorsitzenden der Freiheitlichen einmal nannte, angesichts ihrer Wahlkampfrhetorik nicht aus der Pflicht genommen werden. Und wenn österreichische Nikolaus-"Debatten" (die lediglich die FPÖ mit ihren Mitgliedern geführt hat) bis nach Norwegen kommen, dann hat das mit jener europäischen Vernetzung zu tun, die kürzlich im Zuge der Veröffentlichungen in deutschen Verfassungsschutzberichten angesprochen wurde. Rechte Politiker/innen vereinen sich unter dem Banner des Kampfes gegen die "schleichende Islamisierung Europas". Diese Vernetzung bleibt aber nicht auf rechts-rechte Kräfte beschränkt.

Seit einigen Jahren wirken einzelne Akteure der "Islamkritik" in die Mitte der Gesellschaft hinein. Ein Hans-Peter Raddatz, der die "Existenzformel des Islam" als "Recht auf Unrecht [...] in der Vernichtung des Unglaubens und des individuellen Denkens zum Schutz der Scharia" beschreibt, wurde in Österreich im April 2010 von einem konservativen Staatssekretär a.D. als Islam-Experte am Podium begrüßt und Henryk Broder ("Der Unterschied zwischen Islam und Islamismus ist wie jener zwischen Terror und Terrorismus") von einem konservativen Bundesminister drei Jahre nacheinander für ein Referat zum Multikulturalismus und zum Islam eingeladen.

Solche Persönlichkeiten können als Bindeglied zwischen einer radikalen Islamhetze und Kräften aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft, die "seriös" über die Herausforderungen der Migration und Diversifizierung der europäischen Gesellschaften sprechen wollen, gedeutet werden. Dabei beschränkt sich dieses Phänomen nicht nur auf die Mitte-Rechts-Fraktion: Gerade der Fall Sarrazin hat letztendlich gezeigt, wie selbst Sozialdemokraten vor der grassierenden Islamfeindlichkeit kapitulieren: Beim zweiten SPD-Parteiausschlussverfahren wurde Sarrazins Mitgliedschaft bestätigt. Schließlich meinten laut Umfragen 53 Prozent der SPD-Anhänger (CDU/CSU: 61%, FDP 80 %, Linke 59% und Grüne 45%), Sarrazin habe "mit seiner Kritik" Recht.

Die Islamfeindlichkeit ist also gesellschaftsfähig und massentauglich geworden. In einem Klima der Angst vor der erstarkenden Rechten greifen die Mitte-Parteien meist zu zwei Methoden: geübtes Schweigen oder professionelles Adaptieren. Konsequent klaren Protest erlauben sich nur Minderheitsparteien. Gleichzeitig werden Rechtsextreme und rechtspopulistische Akteure immer radikaler in ihrer Ausdrucksweise und verrückter in ihren Weltverschwörungstheorien. Die bei Anders B. vorgefundene Kampfesinbrunst gegen "Kulturmarxismus" und "Islamisierung" - ersteres ermöglicht nach rechter Ideologie letzteres - findet sich etwa auch in einem Positionspapier des österreichischen Rings Freiheitlicher Jugend zum Islam in Europa aus dem Jahr 2006. Der damalige Vorsitzende sitzt heute im Gemeinderat. Erst vor dem Hintergrund dieser Radikalisierung wird die Tat eines einzelnen Verrückten nachvollziehbar. -Man erinnere sich nur beispielsweise an die Koranverbrennung durch den evangelikalen Prediger Terry Jones: Auch diese Tat ist erst möglich geworden, nachdem es einer Tea-Party-Bewegung gelungen war, Islamophobie in die Reihen der Republikanischen Partei "einzubringen" und damit salonfähig zu machen. Ja, auch Jones er war ein verrückter Einzeltäter, aber er konnte nur in einem Kontext verstanden werden, der seine Tat nachvollziehbar erscheinen ließ: die Mainstream-Diskurse über die angebliche islamistische Bedrohung.

Die norwegische Katastrophe birgt allerdings auch eine Chance: aufseiten der gemäßigten Kräfte in der Mitte der Gesellschaft: die Chance, sich klar und wortstark gegen islamophobe Tendenzen zu positionieren. (Farid Hafez, STANDARD-Printausgabe, 27.7.2011)