Bild nicht mehr verfügbar.

In weiten Teilen Afrikas ist der Hunger eine stetige Drohung. Auch die Ergebnisse wissenschaftlicher Modelle lassen nichts Gutes erahnen.

Foto: APA/EPA/JAKOB DALL / DANISH RED CROSS

Wissenschafter erforschen die Ursachen und suchen nach Wegen aus der Not - unter anderem mit einem System zum Aufspüren von Hotspots.

* * *

Es ist wieder soweit. Auf dem afrikanischen Kontinent droht wieder eine gewaltige Hungerkatastrophe, vermutlich die schlimmste seit zehn Jahren, und eigentlich kann niemand sagen, sie breche unerwartet herein. Am 20. Juli schlugen das internationale Frühwarnnetzwerk Fews Net und mehrere Hilfsorganisationen Alarm. In zwei Regionen Süd-Somalias sei akute Hungersnot ausgebrochen, hieß es. Man erwarte eine Ausweitung des Hungers auf den gesamten Süden des Landes. Mindestens 3,2 Millionen Menschen bräuchten sofortige, lebensrettende Hilfe. In den vergangenen drei Monaten seien bereits Zehntausende gestorben.

Das Problem ist ein grenzübergreifendes. Es sind auch große Gebiete in Äthiopien, Uganda und Kenia von Nahrungsmittelmangel betroffen, und auch hier droht die Lage zu eskalieren. Insgesamt, so schätzen Experten, sind in Ostafrika rund zwölf Millionen Menschen in Gefahr. Dennoch liegt das Epizentrum des Desasters unbestreitbar im südlichen Teil Somalias, ein Gebiet, in dem ohnehin schon Dauernotstand herrscht. "In Somalia hat man die schlimmste Kombination: Bürgerkrieg, Dürre und Armut", meint der Geograf Steffen Fritz vom International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) in Laxenburg bei Wien im Gespräch mit dem STANDARD.

Fritz war selbst als Freiwilliger in der Entwicklungshilfe tätig und arbeitet heute unter anderem an der Entwicklung von landwirtschaftlichen Informationssystemen. Vieles von dem, was Hunger verursacht, lässt sich mittlerweile gut in Modellen erfassen und analysieren. So hat der Forscher zusammen mit Kollegen aus Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden und den USA ein System zum Aufspüren von bestehenden und zukünftigen Hunger-Hotspots für Afrika südlich der Sahara erstellt (vgl. Global and Planetary Change, Bd. 64, S. 222).

Kombinierte Daten

Die Wissenschafter kombinierten Daten zu Bevölkerungswachstum, Bruttoinlandsprodukt und sozialer Entwicklung miteinander. Dazu kamen detaillierte Angaben über den Gesundheitszustand der Menschen, die Klimabedingungen inklusive deren möglicher Veränderungen sowie Daten über die landwirtschaftliche Produktion in jeder Region.

Die Ergebnisse lassen nicht viel Gutes erahnen. Zwar könnte sich in manchen Ländern wie Nigeria und Angola die Ernährungssituation zukünftig entspannen, aber in vielen anderen Gebieten wird weiterhin stets Hungersnot drohen. Solche dauerhaften Hunger-Hotspots liegen in Äthiopien, Uganda, Ruanda, Burundi, Niger und Madagaskar. Teilen von Tansania, Mozambique und dem Kongo steht in Zukunft wachsender Hunger ins Haus, wenn sich die aktuellen demografischen und sozioökonomischen Entwicklungen nicht bessern. Für Somalia, sagt Steffen Fritz, ist die Datenlage sehr schlecht. Dadurch seien fundierte Prognosen kaum möglich.

Positiver Klimaeffekt

Interessanterweise zeigt die Analyse auch einen unerwarteten, positiven Aspekt auf. Für die wichtigen Nutzpflanzen Hirse, Reis und Mais könnten die Erträge vielerorts trotz Klimaerwärmung steigen. Ausgelöst wird dies durch die steigende CO2-Konzentration der Atmosphäre. Das Kohlendioxid kurbelt das Pflanzenwachstum an, ein Effekt, der in früheren Studien zur Auswirkung des Klimawandels auf die Landwirtschaft in Entwicklungsländern nicht berücksichtigt wurde.

Die wärmeliebende Hirse wird vermutlich sogar direkt von den steigenden Temperaturen profitieren - der Weizenanbau allerdings darunter leiden. Insgesamt dürfte das Nahrungsangebot aus lokaler Produktion um 1,6 bis 3,3 Prozent wachsen. Für die Menschen bedeutet das jedoch nicht weniger Hungergefahr, erklärt Steffen Fritz. Das Plus wird höchstwahrscheinlich von den rapide zunehmenden Bevölkerungszahlen wieder zunichte gemacht.

Trotz der komplexen Ursachen von Nahrungsmangel scheint der unmittelbare Auslöser der momentanen Not in Ostafrika, der Funken im Pulverfass sozusagen, ein Naturphänomen zu sein: La Niña. Dabei handelt es sich um eine unregelmäßig auftretende Meeresströmung, die im östlichen Pazifik außergewöhnlich viel kaltes Wasser aus der Tiefsee an die Oberfläche spült. Ähnlich wie ihr wärmeres Gegenstück, El Niño, hat La Niña weltweite Auswirkungen auf das Wetter. So fällt etwa der Monsun in Nordwest-Indien in La-Niña-Jahren meist stärker als normal aus. In Nordostafrika dagegen bleibt es dann oft trocken. Und das kann schlimm enden.

Bereits im Oktober 2010 meldeten Ozeanografen das Einsetzen von La Niña. Im vergangenen Herbst fehlte in Somalia dann der so genannte Deyr-Regen. Die Winterernte fiel aus, und das Vieh von Hirtenfamilien fand immer weniger Futter. Erste Warnungen hinsichtlich der Hungergefahr gab es dann Ende 2010, berichtet Steffen Fritz. Die Fachwelt wusste, dass es wahrscheinlich zu weiteren Regenausfällen kommen würde.

Bedrohte Hirtenvölker

"Man konnte die Hungerkatastrophe also ahnen, aber das Ausmaß noch nicht exakt vorhersagen." Ab April sei die Lage allerdings klar gewesen. Zu diesem Zeitpunkt zeigte sich das weitgehende Ausbleiben der Gu, des Frühlingsregens. Das bedeutete: Auch die Sommerernte würde missraten und viel Vieh verenden. "Ab da hätte man intervenieren können", sagt Fritz.

Wenn die internationale Hilfe schnell und effizient eingreift, könnte es noch gelingen, vorerst hunderttausende Menschenleben zu retten. Gelöst sind die Probleme damit allerdings nicht. "Es sieht nicht gut aus", sagt Steffen Fritz. "Vor allem die Hirtenvölker sind bedroht, weil ihre Ernährung stark von Milch abhängt. Auch wenn es wieder anfangen sollte zu regnen, wird es lange dauern, bis sie neue Herden aufgebaut haben."

Und sogar dann drohen stets neue Katastrophen. Die heute betroffenen Regionen werden immer wieder von Dürren heimgesucht, auch ohne Klimawandel. Es braucht also langfristige Lösungen. Das Elend muss an seiner Wurzel, der Armut, angepackt werden. "Kaufkraft", betont Fritz, "ist ein wichtiges Element. Die Katastrophe wäre nicht da, wenn die Leute ein bisschen Geld hätten." Damit ließen sich Nahrungsmittel von außen zukaufen.

Innovationen als Ausweg

Möglichkeiten zur Verbesserung der Lage liegen unter anderem in landwirtschaftlicher Innovation. Neue Anbaumethoden, effektive und sparsame Bewässerung sowie der Einsatz von trockenresistenten Pflanzensorten und Kunstdünger könnten vielerorts Abhilfe schaffen. Wichtig wäre jedoch auch die zumindest teilweise Befreiung aus der Subsistenzwirtschaft, der Abhängigkeit von der Produktion für den Eigenbedarf.

Steffen Fritz kennt dies aus seiner eigenen Arbeit als Freiwilliger. In der kenianischen Region am Ostufer des Viktoriasees wurde früher hauptsächlich Mais und Sorghum angebaut. Jetzt produzieren die ersten Bauern in größeren Mengen die Energiepflanze Jatropha und verdienen damit Geld. "Das Gebiet ist zurzeit auch von der Dürre betroffen", berichtet Fritz. Doch die Menschen hungern nicht - dank ihres neuen, bescheidenen Wohlstands. (Kurt de Swaaf /DER STANDARD, Printausgabe, 27.07.2011)