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Foto: APA/Robert Jaeger

Eisern sitzen bleiben - das ist Wolfgang Schüssels beliebteste Verhandlungstechnik. Und der Berufspolitiker und Hobbysportler hat wahrlich zähe Ausdauer. Wer sich als Erster bewegt, sprich aufsteht, ist kaputt, signalisiert er damit. Mit dieser Zermürbetaktik war Schüssel des Öfteren Sieger am grünen Tisch. Und das sind des Kanzlers Stärken, die er auch Donnerstagnacht wieder unter Beweis stellte: Er kann blitzschnell rechnen und braucht offenbar keine Sekunde Pause. Ruhige Konzentration ist des Kanzlers Markenzeichen.

Seine Gegner nennen das Sturheit und fühlen sich vom "Pokerspieler" des Öfteren genarrt oder sogar über den Tisch gezogen. "Ungeheuerlich, er dreht einem innerhalb von 30 Sekunden das Wort im Mund um. Wenn man zu einem Vorschlag von ihm nachfragt, knurrt er, dass das ja kein Verhör ist. Er hört nur das, was er hören will - und nennt jede andere Meinung Lüge." So sieht es ein erschöpfter Sozialpartner, der in der Nacht auf Freitag mit ihm in der Runde saß.

Mit dieser Taktik fiel Schüssel bereits bei den Koalitionsgesprächen mit den SPÖ-Kanzlern Franz Vranitzky und Viktor Klima auf. "Kaiser Vranz ist dem alerten kleinen Prinzen wieder in die Falle gegangen", hieß es 1996 im profil unter dem Titel: "Bruder Franzi, schläfst du?" Die ÖVP-Verhandler hätten der SPÖ die "Hosen ausgezogen", hieß es. Und das, obwohl der damalige Vizekanzler Schüssel die Budgetverhandlungen - übrigens unter anderem wegen der Pensionsfrage - scheitern ließ und in den darauf folgenden Neuwahlen dafür vom Wähler bestraft wurde. Um vier Uhr morgens unterschrieb man damals nach 16 Stunden den rot-schwarzen Pakt.

Drei Jahre später warf Viktor Klima, damals seinerseits unter Druck der Gewerkschaften, nach den Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP 1999 entnervt das Handtuch. Obwohl er den Stil des ÖVP-Chefs schon zur Genüge kennen sollte. Denn in der Ära Klima/Schüssel 2. Spalte gab es schon einmal eine lange Pensionsnacht: Im Herbst 1997 verhandelte man bis fünf Uhr früh - einen Kompromiss, den die ÖVP sechs Jahre später als zu dünn empfand, obwohl daran fast die Regierung zu scheitern drohte. 1999 platzten die rot-schwarzen Koalitionsgespräche aus Sicht der ÖVP an der Pensionsreform. Die "Wende" war eingeleitet.

Zwei Jahre und vorgezogene Neuwahlen später scheiterte das schwarz-grüne Projekt in einer schlaflosen Nacht. Abbruch der Gespräche um fünf Uhr früh. Die einstige Jungpartei wirkte nach durchwachter Nacht stärker ge 3. Spalte zeichnet als die altgedienten Schwarzen. Dennoch ein Coup, der Schüssel misslang.

Nicht immer erfolgreich war der Kanzler auch mit seiner Taktik der Verhandlungsmarathons auf EU-Ebene: Zwar durfte er sich im Dezember 2001 nach elf Stunden als "Sieger der Brüsseler Temelín-Gespräche feiern lassen (und nahm damit der FPÖ den antitschechischen Wind aus den Segeln), doch in Sachen Transit half das "Sitzenbleiben" nichts: Beim EU-Gipfel in Kopenhagen im Dezember des Vorjahres zog sich der Meister in Sachen Pokern eine empfindliche Niederlage zu.(Martina Salomon/DER STANDARD, Printausgabe, 24./25.5.2003)