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Foto: Reuters/Pryger

Sei es die Entdeckung des Bienentanzes, die Erforschung der Wärmeproduktion der Biene oder das Studium des aggressiven Verhaltens der gefürchteten Riesenhonigbienen: Das Grazer Institut für Zoologie hat im Bereich der komplexen Systeme sozialer Insekten wie der Biene auch international ein sehr gewichtiges Wörtchen mitzureden.

1973 war es der Wiener Biologe Karl von Frisch, der zusammen mit Konrad Lorenz und dem Niederländer Niko Tinbergen den Nobelpreis für Physiologie und Medizin erhielt. Von 1945 bis 1959 hatte Frisch unter anderem am zoologischen Institut in Graz geforscht und gelehrt, bis er erkannte, welche Mechanismen dem Bienentanz - der Informationen über Futterquellen vermittelt - zugrunde lagen. Gerald Kastberger, ebenfalls tätig an der Zoologie in Graz, erlangte internationales Aufsehen ob seiner Experimente, in denen er das Verhalten der Riesenhonigbiene unter anderem im indischen Assam studierte. Preisgekrönte Dokumentationen legen Zeugnis von der Gefährlichkeit der Bienen und der wissenschaftlichen Arbeit Kastbergers ab. Und Anton Stabentheiner untersucht ebenfalls in Graz die soziale Thermoregulation der Biene - also welche Biene ab welchem Alter für die lebenswichtige Heiztätigkeit im Stock des Volks zuständig ist.

Vom sicheren Labor aus wird nun unter der Führung von Karl Crailsheim, der im vergangenen Jahr ein Projekt zur Produktion von Aminosäure bei Honigbienen abschloss, ein weiterer Aspekt im komplexen System der Honigbiene erforscht: die Organisation und Informationsflüsse unter Bienen. "Bienen funktionieren ähnlich wie tierische Primatengesellschaften, aber mit einer viel größeren Zahl von Individuen. Dabei verfügen wir über relativ wenig Wissen bezüglich der Informationsflüsse und der Regelkreise in ihren Systemen", erklärt Bienen-Spezialist Crailsheim von der Uni Graz. Während man früher von einem hierarchischen Modell ausging, in dem man der Königin (noch früher hatte man sie sogar König genannt) die Herrschaft und Kontrolle über das Volk zusprach, bedient man sich seit rund 50 Jahren des dezentralisierten Modells: "Mittlerweile weiß man, dass die Königin am wenigsten kommandiert. Sie ist in dem Spiel nur ein Player von mehreren, und sie wird von ihren Volksgenossinnen ebenso beeinflusst wie diese von ihr."

Hinter die Regelkreise dieses selbstorganisierenden Systems will Crailsheim nun mit seinem Team in einem vom Wissenschaftsfonds geförderten Projekt blicken. "Uns interessiert zu sehen, wie bei 40.000 Bienen die für die Organisation notwendigen Informationsflüsse funktionieren. Welche Mechanismen liegen dem Regelwerk zugrunde?" Genau beobachten will Crailsheims Team das Verhalten der Honigbiene im kollektiven Ressourcen- und Brutmanagement, an dem immerhin Tausende Bienen simultan beteiligt sind, ohne dass dabei Kommandos von "oben" vonnöten wären. Wobei geänderte Stockbedingungen und die Reaktion der Bienen darauf im Mittelpunkt stehen.

Der wissenschaftliche Mitarbeiter Thomas Schmickl hatte herausgefunden, dass ein Bienenvolk in einer Notsituation - beispielsweise wenn bei Regen der Polleneintrag abreißt - zuerst ihre Brut schlechter versorgt. Dann wird ein Teil der Brut aufgefressen, um das gewonnene Eiweiß für die Verpflegung der restlichen Brut zu verwenden. "Diese Selektion erfolgt nicht willkürlich, sondern nach strengen Regeln", so Crailsheim. Auf individueller Ebene war diese Regulierung lange ungeklärt: "Wir gehen davon aus, dass jede einzelne Biene die Entscheidung selber trifft, welche Larve gefressen wird und welche nicht, und zwar aus einer Kombination von einfachen Verhaltensmustern heraus."

Die Forscher bedienen sich in ihren Experimenten eines Multiagentenmodells, das als Gegenstück zum hierarchischen Modell gesehen wird. Teil der Experimente ist es herauszufinden, welche Biene wie viel an welche Brut (die unterschiedlich alt ist) verfüttert. "Jede Larve ist so ein Agent mit eigenen Interessen, die lauter oder leiser über Pheromone (vom Organismus abgesonderte Duftstoffe, Anm.) ihren Hunger bekundet. Sie interagiert mit anderen Agenten, zum Beispiel mit den Bienen, die von außen Nektar hereinbringen, oder auch mit der Königin, einem weiteren Agenten. Unsere Theorie beruht darauf, dass es keines Kommandos von oben bedarf, sondern dass das System über eine feine Nuancierung der einzelnen Bedürfnisse der Multiagenten reguliert wird."

Die Bienen werden für die Beobachtungen mit einer Art Strichcode zwischen den Flügeln versehen und von einer Kamera gefilmt; die Aufzeichnungen werden dann vom Computer ausgewertet. So wird analysiert, welchen Kontakt die Biene zu welcher Larve oder anderen Bienen hat und welche Biene Pollen holt. Dem Raum der Wabe als kollektives Gedächtnis, Kommunikationsdrehscheibe und Lagerverwaltung kommt dabei eine besondere Rolle zu: In ihr sind verschiedene Informationen gespeichert, die unter anderem Aufschluss geben über die Leistungsfähigkeit der Königin. Denn diese hinterlässt durch Drüsen an ihren Beinen so genannte Footprint-Pheromones. Zudem ist die Wabe Lagerverwaltung - nicht nur Honig wird eingelagert, auch Pollen, Wasser und die Brut.

Thomas Schmickl erwartet sich durch die Beobachtung der selbstorganisierenden Bienen praktische Anwendungen für Wirtschaft und Industrie. Anleitungen dazu kommen von anderen sozialen Insekten wie der Ameise: "Aus dem Studium der Ameisen heraus hat sich zum Beispiel die Logistik für Transportwesen weiterentwickelt. Anhand von Ameisenstraßen wurden relativ einfache Algorithmen entwickelt. Ameisen nehmen in jedem Gelände immer den kürzesten Weg. Das Postsystem in Japan verwendet solche Ameisen-Algorithmen. Andere Algorithmen, die von Termitengesellschaften abgeleitet sind, finden im Data-Minding Verwendung", erklärt Schmickl.

Das Wissen rund um die Bienen hätte man bisher weniger für die Industrie verwertet, obwohl Bienen aufgrund ihrer Verwaltungstätigkeit eine höhere kollektive Intelligenz aufweisen würden als Ameisen. (Erika Müller/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24./25. 5. 2003)