Francesco Guardis Venedigansicht mit Blick auf die Rialto-Brücke wechselte bei Sotheby's für 29,83 Mio. Euro den Besitzer, der höchste weltweit jemals für ein Guardi-Werk bewilligte Wert.

Foto: Sotheby's
Grafik: Standard

Dass sich dieses Spektakel nicht so schnell wiederholen würde, war klar. Gleich zwei Besitzerwechsel jenseits der 100-Millionen-Dollar-Barriere hatte der internationale Kunstmarkt im ersten Halbjahr 2010 zu verzeichnen: Zuerst bei Sotheby's in London (Alberto Giacometti, L'homme qui marche, 104,32 Mio.), dann klatschte Christie's in New York ab (Pablo Picasso, Nude, Green Leaves and Bust, 106,48 Mio.). Mit solcher Dramaturgie können die ersten sechs Monate des laufenden Geschäftsjahres auf den ersten Blick tatsächlich nicht dienen.

Die in den Auktionssälen auf der ganzen Welt vorläufig formierte Elite der höchsten Zuschläge (siehe Tabelle) blieb unter der 43-Millionen-Dollar-Marke, und als Anführer erkor man mit Francesco Guardi einen Alten Meister, für dessen Venedig-Ansicht bei Sotheby's in London Anfang Juli der Hammer bei 42,86 Millionen fiel. Auf den zweiten Blick hat 2011 sogar Chancen auf einen Rekordtitel, so stark ist der abseits solcher Rankings verzeichnete Zuwachs.

Zu den Vorboten gehört entsprechendes Zahlenfutter, das Christie's vergangene Woche mit der Halbjahresbilanz öffentlich machte. Jenes von Sotheby's folgt im Zuge der Bekanntgabe der Quartalsergebnisse Mitte August. Ein 1:1-Abgleich der beiden Zwischenabrechnungen wird sich eher in Details unterscheiden als in den grundsätzlich festzustellenden Trends.

Der "Medici"-Sammler

Demnach wächst der Markt eher in die Breite als an der Spitze: 2008 verzeichnete Christie's zwischen Jänner und Juli 457 Besitzerwechsel über der 700.000-Euro-Marke, aktuell liegt dieser Wert bei nur 376. Gleichzeitig stieg die durchschnittliche Verkaufsquote für Kunstwerke in einer Preisklasse von 566.000 bis 1,13 Millionen Euro auf stattliche 90 Prozent. Dieses mittlere Segment - in Deutschland und Österreich wiederum als das ober(st)e geläufig - entspricht viel eher der Realität des Marktes als die nächsten 100- und 200-Millionen-Kandidaten, wie Jussi Pylkkänen, der für das Europageschäft verantwortliche Christie's-Präsident im Gespräch mit dem Standard bestätigt. Dazu käme ein nennenswerter Klientenanteil für Ware im Wert von 55.000 bis 110.000 Euro, der wiederum das enorme Wachstum am Schauplatz Asien (Hongkong +48 Prozent) oder einzelner Sparten (20th Century Decorative Art +279 %, Modern British Art + 257 %, Wine +107 %) prägt. 78 Prozent der Neukunden (EU, UK, US) bedienten sich übrigens ebenfalls in dieser Preisklasse.

Mit dem stärksten Anteil am Auktionsumsatz konnte Europa (803,4 Mio. Pfund, US: 577,7 Mio.) seine Vormachtstellung neuerlich behaupten. Neue Trends gilt es beim Kaufverhalten zu orten: Russen und GUS-Staaten bevorzugen als Jagdrevier die Sparten Impressionist & Modern Art, 20th Century Decorative Art sowie Post-War & Contemporary, Chinesen wiederum historische Tischlerkunst, Alte Meister und vor allem Wein, während der Mittlere Osten sein Vermögen lieber in Juwelen und Uhren investiert. Querbeet, allerdings nur in der höchsten Güteklasse, deckt sich hingegen der von Christie's nunmehr als Medici-Sammler titulierte ein. Nach Jahren des Hortens von Impressionisten, schildert Pylkkänen Episoden aus seinem Alltag im Department, juckt es Mittvierziger und -fünfziger neuerdings eben nach solitärer Kunst der Gold-und-Silber-Schmiede, einem edlen französischen Möbel oder auch chinesischer Cutting-Edge-Art. (Olga Kronsteiner, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 30./31. Juli 2011)