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Schlank ist nicht gleich fit: Gesund kann Frau und Mann in jeder Kleidergröße sein, konstatieren Initiativen, die der Gewichtsdiskriminierung den Kampf angesagt haben.

Foto: REUTERS/Rick Wilking/Files

Dicke Menschen haben's nicht leicht - ein Kalauer, in dem viel Wahrheit steckt. Denn Übergewicht gilt nicht mehr nur als ästhetisch nicht anstrebenswert, sondern hat mittlerweile den Status einer Volkskrankheit. Davon zeugt zuletzt der "Nationale Aktionsplan Ernährung", den Österreichs Gesundheitsminister Alois Stöger heuer veranlasst hat: Nun sollen auch die ÖsterreicherInnen, so wie die Deutschen schon seit 2007, "In Form" gebracht werden. Die Aussage hinter den Initiativen, hierzulande mit zehn Millionen Euro über drei Jahre finanziert: Hauptsache "dünn", denn "fett" belastet das Gesundheitssystem zu sehr.

Dick ist gleich krank

Politische Unterfangen wie diese legitimieren verbreitete Annahmen, dass Dicke weniger leistungsfähig sind, öfters krank werden, mehr kosten und trotzdem früher sterben. Die Gleichsetzung von dick mit krank sowie die Vervolkswirtschaftung dieser angenommenen kranken, weil dicken Körper wird selbst dann in Kauf genommen, wenn neuere Studien monokausale Zusammenhänge von Übergewicht mit koronaren Herzerkrankungen kritisch betrachten (Vgl. hier, da oder dort) oder zum Schluss kommen, dass Übergewicht bei bestehenden Herzerkrankungen vorm vorzeitigen Ableben schützt, wie die Studie von Heinz Buettner). Oder wiederum andere Untersuchungen schon längst gezeigt haben, dass Abnehmen nicht gleich eine Verbesserung der Gesundheit bedeutet, im Gegenteil: Diäten den Körper viel eher ruinieren.

Kampf gegen Vorverurteilung

Mit der Kampfansage gegen Übergewicht respektive Fett hat man sich einen schon darniederliegenden Gegner ausgesucht, dem gegenüber der "gesunden Menschenverstand" annähernde Nulltoleranz aufbringt. Und konsequenter Weise auch dem dicken Menschen gegenüber: Laut Studien werden die von ihren MitbürgerInnen häufiger für dumm und faul als schlanke gehalten. Übergewichtige bieten auch genügend Projektsionsfläche für andere leichtfertige Vorverurteilungen - undiszipliniert, willensschwach, asozial -, die sie als homogene Gruppe zusammenfassen aufgrund eines äußerlichen Merkmals, und diese gipfeln in einer Unterstellung: Die/der Dicke ist ausnahmslos selbst Schuld an ihrem/seinem Zustand.

Gegen diese Stigmatisierung kämpfen Vereine wie die österreichische fat-positive ARGE Dicke Weiber, die US-amerikanische "Association for Size Diversity and Health" (ASDAH) und die deutsche Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung. Letztere arbeiten beide nach dem Prinzip "Health at Every Size" (HAES, Gesundheit in allen Größen). Bewirken will man damit vor allem zweierlei: Dass Gesundheit nicht am Gewicht festgemacht werden kann. Und der Öffentlichkeit wie politisch Verantwortlichen klarzumachen, dass nicht Übergewicht, sondern die gesellschaftliche Diskriminierung dicke Menschen krank macht.

Diskriminiert und ausgegrenzt

Die zeigt sich auf unterschiedlichen Ebenen und hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche: Versicherungen verlangen von stark Übergewichtigen bei privaten Kranken- und Lebensversicherungen höhere Prämien, wenn sie den Abschluss nicht überhaupt verweigern. Bei einigen Airlines in den USA sowie der Air France ist es üblich, dicke PassagierInnen für zwei Sitzplätze zur Kasse zu bitten.

Existenziell bedrohlicher wird die Sache, wenn Übergewichtige Jobs nicht bekommen, für die sie mindestens gleich qualifiziert sind wie dünnere BewerberInnen - eine häufige Praxis im Dienstleistungssektor. Generell sinken die Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, wenn das Gewicht steigt, was zur Folge hat, dass die Einkommen Übergewichtiger unter denen schlanker Menschen liegen. In Deutschland werden Menschen mit einem Body Mass Index (BMI) über 30 - der die Grenze von Übergewicht zur Fettleibigkeit markiert - im Regelfall nicht verbeamtet.

Auch die medizinische Versorgung ist für sie nicht adäquat gewährleistet, kritisiert die Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung: Ärztinnen und Ärzte würden "jedes gesundheitliche Problem auf das Übergewicht des Patienten reduzieren", und "dabei die eigentlichen Ursachen der Erkrankung übersehen". Und dann wäre da noch die soziale Ausgrenzung, unter der Übergewichtige zu leiden haben: Als Kinder finden sie schwerer FreundInnen, als Erwachsene seltener EhepartnerInnen.

"Fett" kann gleich "fit" sein

Diese Ausschlussmechanismen dürften nicht ausgespart werden, wenn über die Gesundheitsbelastung von Dicken diskutiert wird: Sie schränken die Betroffenen oft mehr als die Anzahl ihrer Kilos ein, psychisch wie physisch. Dabei ist Aktivität - und nicht Gewicht - in Form von Bewegung tatsächlich ein Faktor, der Gesundheit maßgeblich bestimmt. Im aktuellen Österreichischen Frauengesundheitsbericht wird deshalb auch festgehalten, dass "die Betrachtungsweise (von Übergewicht in Zusammenhang mit Erkrankungen, Anm.) von der Ernährung auf die Frage der ausreichenden Bewegung zu verschieben" sei.

Weil sich aber in den Köpfen hartnäckig festgebissen hat, dass "fett" und "fit" nicht zusammengehen, überlagert der Aspekt des Gewichts den der körperlichen Aktivität in den öffentlichen Debatten noch zu oft. Zwar hat Gesundheitsminister Stöger auch angekündigt, in einer weiteren Phase des Aktionsplans die Bewegung ins Spiel zu bringen - aber erst, wenn der Speck weg ist. (bto/dieStandard.at, 1.8.2011)