Im Zusammenhang mit dem Blutband in Oslo kam auch die Islamkritik ins Gerede: Islamfeindlichkeit sei der Nährboden dieser schrecklichen Tat gewesen. Aber es wurde nicht von jedermann zwischen Islamkritik und Islamfeindlichkeit unterschieden.

Während Norwegen sich jetzt um noch mehr demokratische Offenheit bemühen will, die Hamburger "Welt" es "pure durchsichtige Demagogie" nennt, Islamkritik in die Nähe von Menschenhassern zu rücken, sind im "Standard" für Robert Misik ("Isoliert die geistigen Brandstifter") Islamkritiker die Mitschuldigen am Blutbad. Misik ruft nach Ausgrenzung dieser Andersdenkenden. Damit steht er in bester Tradition deutschsprachiger Länder.

Die Islamforschung begann im 19. Jahrhundert und war als theologische Disziplin selbstverständlich gleichzusetzen mit Kritik. Das bescherte eine wissenschaftliche Blüte. Es war eine sehr kritische Forschung, mit Aussagen wie sie heute auf Universitätsebene kaum mehr vorstellbar sind. Prominentester Kopf war der Budapester Ignac Goldziher, der auf ungarisch und deutsch veröffentlichte.

Er nannte zum Beispiel die "Hadithe", die einzige Quelle, auf die sich die Existenz Mohammeds begründet, reine Erfindungen späterer Jahrhunderte, die als Quelle zu verwenden kein ernsthafter Wissenschafter wagen würde. Für ihn und andere waren die uns bekannte islamische Historiografie "literarische Produkte späterer Zeiten".

Islamfreundliche Monarchien

Kaiser Wilhelm II. war die kritische Islamforschung ein Dorn im Auge. Er baute nicht nur eine Flotte, sondern schmiedete zusammen mit Österreich und der Türkei ein Weltreich, das vom Indischen Ozean über das Mittelmeer bis an die Nordsee reichen sollte. Es war die Konsequenz aus der Erkenntnis, dass den ölreichen Regionen eine Schlüsselposition zufallen würde. Den wichtigsten Verbündeten, die islamischen Osmanen, verprellte man da besser nicht.

1899 errichtete Wilhelm auf seiner Orientreise in Damaskus Sultan Saladin (1163 - 1193 ) ein Grabmahl aus Marmor, wohl wissend (zumindest sein Redenschreiber Adolf v. Harnack wusste es), dass es Saladin war, der dem sunnitischen Mohammedanismus den Durchbruch zum "Islam" verschaffte.

Der österreichische Kaiser wiederum musste sich den über ihre Annexion nicht sonderlich glücklichen Bosniern erkenntlich zeigen und erkannte ihren hanifitischen Islam offiziell an. Außerdem brauchte der Kaiser Soldaten. (Eines der berührendsten Denkmäler steht im slowenischen Mittelbret zwischen Tarvis und Bovec und zeigt einen Tiroler Kaiserjäger Arm in Arm mit einem muslimischen Bosnier). 

Insgesamt hatte der Islam einen hohen offiziellen Stellenwert in den Monarchien. Kaiser Wilhelm verbot zwar nicht die lästige Islamforschung, aber er verbat sich Islamkritik an seinen Akademien. Das war der Anfang der Politisierung der Islamwissenschaften.

Im Dritten Reich war die Richtung vorgegeben mit dem Führerwort, wonach uns schon die halbe Welt gehören würde, hätte man statt des Christentums den Islam bekommen. Die Auswirkungen waren weniger akademischer denn praktischer Natur, als konkrete Vereinbarungen mit dem Großmufti Hussein von Jerusalem für die Judenvernichtung in Palästina getroffen wurden.

Der schwer beeindruckte Großmufti wurde von Eichmann persönlich durch Auschwitz geführt, in Dresden entstand die SS-Muftischule. Das ist nicht nur Anekdote, zwischen Plan und Umsetzung des Holocaust in Palästina stand lediglich die verlorene Schlacht von El Alamein. (Und Hussein - Neffe, Palästinenserführer Yasir Arafat, war später mit einer friedlichen Lösung überfordert).

Ausgrenzung mit Tradition

Die Nachkriegsorientalistik knüpfte an die traurige Tradition der vergangenen fünfzig Jahre an. Sie folgte kritiklos islamischer Legendentradition, als ob es einen Nöldeke oder Goldziher nie gegeben hätte. Es gab jahrzehntelang nicht eine Theoriebildung. Zu Ausgang des 20. Jahrhunderts war die Orientalistik zwar nicht politisiert, sondern - noch schlimmer - ideologisiert. Sie hatte zumindest in ihrem Islamzweig traurige Wissenschaftsgeschichte geschrieben und in einer Zeit, in der Multikulti gepflegt wurde und politisches Programm war, erledigte sich zudem Kritik von selber.

Es gab jedoch die Kritiker. Der erste prominente war Günter Lüling, der an die große geisteswissenschaftliche Tradition des 19. Jahrhunderts anknüpfte und eine Reihe von Lehrstuhlinhabern aus ihren Träumen aufscheuchte. Aber das System mag Kritiker nicht, Lüling wurde existentiell förmlich vernichtet, seine quellenkritische Habilitierungsschrift wurde mit der entrüsteten Frage abgewiesen, wie er sich denn eines Tages dem Propheten gegenüber rechtfertigen wolle.

Christoph Luxenberg, prominentester deutscher Koranforscher und Querdenker bekam ebenfalls seine Probleme, als die Berliner Kollegin Neuwirth seinen Klarnamen im Nahen Osten zirkulierte. Luxenberg ist ein Pseudonym, er selber ist ethnischer Araber und hat eine verzweigte Familie im Nahen Osten. Man mag dies als Konkurrenzneid abtun, aber dahinter stehen immer politische Interessen in Form von Finanzierungen und Ernennungen.

Ausgrenzung islamkritischer Persönlichkeiten, Wissenschaftler oder Publizisten, hat mit oder ohne Misik eine rund hundert Jahre lange Tradition im deutschsprachigen Raum. Dabei geht es bei den kurz umrissenen Beispielen um historische Sachverhalte, noch nicht einmal um Theologie oder Inhalte.

Zur Politik und zur Ideologie ist die Hilflosigkeit getreten. Es gibt viele Muslime bei uns, und viele sind noch dazu Wähler. Kritik am Islam, egal auf welcher Ebene, wird von den meisten Muslimen als eine persönliche wie universelle Beleidigung empfunden. Wer eine solche Beleidigung provoziert, ist nach Meinung mancher Leute sozial unverträglich, wenn nicht noch Schlimmeres. Man wird sehen, in welche Richtung die Reise geht in der Zeit nach Oslo. (Leser-Kommentar, Norbert Schmidt, derStandard.at, 1.8.2011)