Oslo/Stockholm - Es sei unwahrscheinlich, dass der Attentäter von Oslo, Anders Behring Breivik, für unzurechnungsfähig erklärt werde, hat der Leiter des forensisch-medizinischen Ausschusses, der derzeit an einem Gutachten über Breiviks geistige Gesundheit arbeitet, gesagt. Breivik soll laut Tarjei Rygnestad zu jeder Zeit die volle Kontrolle über seine Taten gehabt haben.

Die Taten seien so sorgfältig geplant und ausgeführt worden, dass im vorliegenden Fall nicht von einer Geisteskrankheit ausgegangen werden könne, so Rygnestad. Mit diesem Gutachten würde auch die vorläufige Verteidigungslinie von Breiviks Anwalt, Geir Lippestadt, in sich zusammenfallen. Denn Lippenstadt hatte vor wenigen Tagen erklärt, ihn würde es sehr wundern, wenn sein Mandant nicht als geisteskrank diagnostiziert werden würde.

Das Ergebnis der psychologischen Untersuchungen ist vor allem hinsichtlich der Einweisung Breiviks bei einem Schuldspruch maßgeblich. Denn in Norwegen liegt nur dann Unzurechnungsfähigkeit vor, wenn der Täter unter einer Psychose leidet, den Kontakt zur Realität verliert und somit nicht mehr Herr seiner Handlungen ist. In diesem Fall würde das eine Einweisung in eine Psychiatrie nach sich ziehen. Bei voller Zurechnungsfähigkeit drohen dem Attentäter je nach Anklage zwischen 21 und 30 Jahre Haft.

"Ein Psychotiker kann nur einfache Dinge tun", erklärte Rygnestad gegenüber der Nachrichtenagentur AP. Selbst die Autofahrt von Oslo nach Utöya sei in einem solchen Fall zu kompliziert. "Wenn man Stimmen im Kopf hat, die einem Befehle geben, dann behindert das, und das Bedienen eines Autos ist ein sehr komplexer Vorgang", erklärte Rygnestad. Daher sei es nicht sehr wahrscheinlich, dass Breivik psychotisch ist.

Auch die Art wie er seine Anschläge vorbereitete, etwa über Jahre das Bombenmaterial besorgte und sich die notwendigen Fähigkeiten antrainierte und dabei seine Tarnung nie aufgab, um nicht entdeckt zu werden, spreche nicht für eine Psychose, so Rygnestad.

Knapp eine Tonne Sprengstoff verwendet

Die Bombe, die der mutmaßliche Doppelattentäter Anders Behring Breivik vor rund zehn Tagen im Osloer Regierungsviertel hochgehen ließ, dürfte rund 950 Kilogramm Explosionsmittel enthalten haben. Der Leiter der Sprengstoff-Abteilung der Norwegischen Volkshilfe, Per Nergaard, sagte in einem Interview, er habe seine ursprüngliche Schätzung auf das Doppelte revidiert. Zunächst hatte Nergaard auf eine Bombe mit 450-500 kg Sprengstoff getippt.

Nach einer gründlichen Analyse des Explosionsortes und der Detonationsschäden dürfte somit die von Breivik selbst in seinem so genannten "Manifest" angegebenen Menge weitgehend stimmen. Es hatte sich bei den Ermittlungen herausgestellt, dass Breivik den Lieferwagen, in dem die Bombe verborgen war, über einem Tunnel abgestellt hatte. Durch den Tunnel wurde ein großer Teil der Sprengkraft der Bombe absorbiert.

Es sei "völlig einzigartig", dass bei der Explosion einer 1000-Kilo-Bombe in einem Stadtzentrum lediglich acht Menschen getötet wurden, sagte der Sprengstoff-Experte gegenüber der Zeitung "Dagsavisen" (Montag-Ausgabe). Mit ein Grund für die wohl geringere als vom Täter erhoffte Opferbilanz war der Umstand, dass zum Zeitpunkt des Anschlags - Freitagnachmittag einige Minuten vor halb Vier - von insgesamt 1.600 Bediensteten in den zwei am nächsten gelegenen Gebäuden nur rund 190 in ihren Büros waren.

Parlament gedenkt der 77 Terroropfer

Das norwegische Parlament hat am Montag mit einer Gedenkstunde der Opfer der Terroranschläge in Oslo und auf der Insel Utöya gedacht. An der Feierstunde nahmen Überlebende, Angehörige von Opfern sowie Norwegens Regierung und König Harald zusammen mit Kronprinz Haakon teil.

Der rechtsradikale Attentäter hatte vor eineinhalb Wochen durch eine Bombe im Osloer Regierungsviertel und bei einem Massaker in einem Sommerlager für Jugendliche 77 Menschen getötet. Bei der Feier sollten alle Namen vorgelesen werden. Die große Mehrzahl der Toten waren Jugendliche im Alter zwischen 14 und 19 Jahren. (AP/Reuters/APA)