Ankara - Mit dem traditionellen Besuch in Anitkabir, dem Mausoleum von Republikgründer Kemal Atatürk in Ankara, begann am Montag die Sitzung des Obersten Militärrats der Türkei, die als kritischste in der Geschichte des Landes gilt. Bis Donnerstag berät der Militärrat unter Vorsitz von Premier Tayyip Erdogan über die Besetzung der Führungsspitze der türkischen Armee. Erstmals ist dabei die zivile Führung in der Lage, dem Militär ihre Vorstellungen zu diktieren.

Als größter Streitpunkt zeichnete sich am Montag gleichwohl die Frage des künftigen Kommandeurs der Landstreitkräfte ab. Er übernimmt üblicherweise später einmal das Amt des Armeechefs. Nach dem Rücktritt des bisherigen Amtsinhabers Iºik Koºaner und der Befehlshaber der drei Truppengattungen am vergangenen Freitag werden die Karten neu gemischt. Erdogan und Staatspräsident Abdullah Gül hatten am Wochenende Necdet Özel, den Kommandeur der Gendarmerie, kommissarisch als neuen Stabschef installiert. Das türkische Militär putschte viermal - 1960, 1971, 1980 und 1997. Seit 2007 laufen nun Ermittlungen gegen Armeeangehörige, Journalisten und Vertreter des kemalistischen Establishments wegen Umsturzplänen mit Hilfe des angeblichen Geheimbunds Ergenekon.

Eigenversagen der Armee

Der Sicherheitsexperte Koray Özdil vom Istanbuler Think-Tank Tesev sieht das eigene Versagen der Armeeführung angesichts der Anklagen wegen Verschwörung, die mittlerweile rund 250 Offiziere und Generäle ins Gefängnis gebracht haben. Das Militär habe sehr wenig getan, um die Vorwürfe aufzuklären und selbst Verantwortung zu übernehmen, sagte Özdil dem Standard.

Zur Rücktrittswelle am Freitag hatten neue Anklagen gegen Generäle wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung an Propaganda-Webseiten gegen die Regierung Erdogan geführt. "Nach all dem Widerstand, den Koºaner geleistet hat, konnte er keine Kehrtwende machen. Deshalb trat er zurück." Die Regierung habe ihre Vorstellungen, welche Generäle sie nun platzieren will: "Sie zieht jene vor, die sich einer zivilen Regierung nicht widersetzen. Das ist nur fair." (Markus Bernath, DER STANDARD, Printausgabe, 2.8.2011)