Ramadan im August ist natürlich die Härte. Da muss man gar nicht lange herumreden. Die Tage extra lang, extra heiß, die Läden sinnlos offen. Madame Alev, eine Bekannte, versichert, das sei ihr alles recht wurscht, sie nähme weiter nachmittags ihren Aperitiv ein. Aber so denkt die Kemalistenseele, nicht die Mehrheit im Land. Im Machtbereich von IDO, dem Istanbuler Fährschiff-Unternehmen in der Hand eines treuen Parteimannes, ist wie durch Zauberhand das Bier aus den Bierkneipen rund um die Anlegestellen verschwunden. In Beşiktaş ist das so, und am Anleger in Kadiköy gab es sowieso schon lange keines mehr, da muss man hundert Meter weiter zum Carşi gehen, der Fressmeile, wo die Tische aufgereiht stehen, Winter wie Sommer, und da sitzen dann die verlorenen Menschen, die auch noch im Ramadan in coram publico ein großes Glas leeren.

Der gläubige Muslim kann sich das sowieso nicht aussuchen: Der Ramadan im August kommt und geht und in ein paar Jahren ist er halt wieder da, mitten im Hitzemonat. Das Wichtigere ist die Anpassung der Welt an den Ramadan im August. Urlaubsstrategien sind da ein wesentlicher Teil. Nehmen wir zum Beispiel den Fall des "Kapici", des Hausverwesers: Anfang Juli ist er mit Kind und Kegel verschwunden, Auto vollgeladen und ab nach Hause ins Dorf, tief in Anatolien. Pünktlich zum Ramadan kam er wieder zurück in die Großstadt, denn ein Fastenmonat auf dem Dorf unter den Argusaugen der lieben Verwandtschaft ist kein Spaß. Soll es ja nicht sein, es geht schließlich um die innere Reinigung. Aber auch die Büromenschen der vorgerückten Mittelklasse haben ähnliche Überlegungen angestellt. Mitte Juli waren sie mit einem Mal alle in Bodrum oder Antalya. Strandurlaub im Ramadan findet keiner wirklich prickelnd. Ausgenommen Madame Alev, welche eine Dame im vorgerückten Alter ist und im August in ihre säkulare Trutzburg ans türkische Mittelmeer zu fahren pflegt, Ramazan hin oder her.

"Fastenmonat" ist insofern aber auch ein irreführender Begriff, weil der türkische Konsummensch, rastlos bearbeitet von Fernsehwerbung und bombastischen Angeboten von "Ramazan"-Paketen in den Supermärkten, nur die tägliche Nahrungsaufnahme anders eingerichtet hat. Ab 20.30 Uhr wird in Istanbul gegessen, was geht, im heimischen Salon oder im Restaurant. Dann ein wenig schlafen, von Mitternacht bis drei, halb vier morgens, noch einmal essen, und um vier Uhr sechs Minuten ist "suhar" und Schluss mit der Völlerei.

Ist das – medizinisch betrachtet – gesund? Eher nicht. Gesund ist die Gleichmäßigkeit, eine ausgewogene Ernährung ohne konzentrierten Zucker, lehrt Professor Doktor Martin Riegler, der Magen- und andere Eingeweidespezialist vom AKH in Wien. Kommt es blöd, kriegt man eine Magenentzündung oder Gastritis, ansonsten verschafft die Unterzuckerung durch Hungern sensibleren Naturen alle Arten kleinerer und größerer Pein: Kopfweh, Magenweh, Gelenkschmerzen, Herzschmerzen.

An ärztlichen Ratschlägen türkischerseits fehlt es vor allem in den Zeitungen nicht. Professor Doktor Murat Tuzcu warnt etwa in der Tageszeitung Milliyet die Herzkranken. Schwer verdauliche, mehrgängige Mahlzeiten belasten das Herz besonders, sagt er. Und dann ist da noch das Problem mit dem Wasser. Bei derzeit 32 (Istanbul) oder 43 (Diyarbakir) Grad im Schatten den ganzen Tag nichts zu trinken, kann ein ziemliches Problem werden. Sitzt man im klimatisierten Büro mag es erträglicher sein, doch dann stellt sich der Hunger ein, den die Hitze draußen sonst schnell verscheucht, und nagt arg an der Konzentration. Alle menschlichen Organe spielen wie ein Orchester zusammen, sagt der Professor Doktor Tuzcu. Nach drei Wochen sind Ramazan-Teilnehmer allerdings auch nach Außen erschöpft und missgestimmt. Kinder, Kranke, Schwangere oder körperlich schwer Arbeitende sind von der Pflicht zum Fasten ausgenommen.