Jeden Tag beim Prozess dabei: Eberhart Theuer.

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Entscheidend ist nicht die Kostümierung, sondern ob ein Verein sich rechtskonform verhält. Im Bild protestieren Aktivisten des Tierschutzvereins Peta in Südafrika gegen einen Zirkus.

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Dennoch stellte die Korruptionsstaatsanwaltschaft ein Verfahren gegen die Ermittler ein. Geht dies mit rechtlichen Dingen zu?

Seit ihrer Gründung 2007 hatte die Sonderkommission Bekleidung eine in der österreichischen Justizgeschichte wohl beispiellose Ermittlungsmaschinerie gegen TierschützerInnen in Gang gesetzt, die alles aufbot, was kriminalistisch machbar ist. Nach mehr als einem Jahr Hauptverhandlung wurden die TierschützerInnen von allen Anklagepunkten freigesprochen. Die Ergebnisse der verdeckten Ermittlerin "Danielle Durand", von der Soko aus allen Polizeiberichten herausgehalten und erst durch die Verteidigung offenbart, hatten die Wende im Verfahren gebracht und waren maßgebend für den Freispruch.

Auf einmal sahen sich die Soko-Ermittler selbst einer Anzeige gegenüber, eingebracht vom Justizsprecher der Grünen, Albert Steinhauser. Der Vorwurf: Vertuschung, Manipulation und einseitige Darstellung der Indizienlage, durch die letztlich U-Haft und Anklage erwirkt werden konnten. Die Korruptionsstaatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen die Soko-Beamten nun ein.

Der Ermittlungsaufwand dafür war denkbar gering: Es gab keinen. Bloß eine angeblich umfassende Prüfung anhand des Aktes.

Ein zentraler Vorwurf der Anzeige sei hier herausgegriffen: Das Verschweigen der verdeckten Ermittlungen und deren Ergebnisse. In ihrer Presseaussendung dazu erklärte die Korruptionsstaatsanwaltschaft, es sei vertretbar, die aus der verdeckten Ermittlung "gewonnenen Erkenntnisse mangels Bedeutung für das Verfahren nicht in die kriminalpolizeiliche Berichterstattung an die Staatsanwaltschaft aufzunehmen, weil sich aus ihnen weder eine konkrete Be- noch Entlastung nach Art eines Alibibeweises ergeben hat."

Nach Ansicht der Korruptionsstaatsanwaltschaft ist es also "vertretbar", jene Erkenntnisse zu verheimlichen, die maßgeblich für den Freispruch im Tierschutzprozess waren. Das klingt nicht nur paradox, es ist auch rechtlich nicht haltbar.

Zunächst: Dass es vertretbar ist, ein bestimmtes Handeln als nicht rechtswidrig anzusehen, ist üblicherweise nicht hinreichend für eine Verfahrenseinstellung. Entscheidend ist vielmehr, welcher Auffassung die Staatsanwaltschaft folgt. Und während die in Wr. Neustadt im Tierschützerprozess alles tat, um aus einer dünnen Suppe eine Anklage zu zimmern, scheint die Korruptionsstaatsanwaltschaft den angezeigten Soko-Ermittlern jeglichen "benefit of the doubt" zu geben, der denkbar ist.

Sie stellt in ihrer Presseaussendung in den Raum, die Ergebnisse der verdeckten Ermittlerin könnte man auch bloß als Indiz dafür sehen, dass sie "nicht an den entscheidenden Teil der Organisation herangekommen ist". Hier irrt die KStA in zweifacher Hinsicht. Bestens integriert, hatte Durand mehr als 16 Monate bei zahllosen Tätigkeiten der Organisation, getarnt als Aktivistin des Vereins gegen Tierfabriken (VgT), mitgewirkt – und nichts Belastendes gefunden. In einem fast 100-seitigen Bericht zeichnete sie das Bild eines demokratischen, offenen Vereins ohne strafrechtlich relevante Aktivitäten. Dass Durand nicht in den Inner Circle vorgedrungen sei, kann hier nicht ernsthaft behauptet werden. Sie war genau dort, Seite an Seite mit Erst- und Zweitangeklagtem, zu denen sie besonders enge Beziehungen pflegte.

Durands Ermittlungsergebnisse vor diesem Hintergrund nicht als entlastend zu betrachten widerspricht den Grundsätzen logischen Denkens. Dem konnte sich auch die Hauptverhandlungsrichterin nicht verschließen. Durch die Verheimlichung des Durand-Berichts in ihrem Glauben an die Lauterkeit der polizeilichen Vorgehensweise erschüttert, machte Richterin Arleth diese Ermittlungsergebnisse zum Kernpunkt der Freispruchbegründung.

Der zweite Irrtum der Korruptionsstaatsanwaltschaft ist ein fundamentaler: Ob diese Ermittlungsergebnisse entlastend oder "neutral" seien, sei "eine Frage der Bewertung, die je nach Standpunkt unterschiedlich ausfallen kann". Diese Bewertung der Polizei zu überlassen, mit dem Ergebnis, dass der Staatsanwalt nie von diesen Beweisen erfährt und so in deren Unkenntnis Untersuchungshaft und Verurteilung beantragt, mit der Folge, dass ein Gericht dem, ebenfalls in Unkenntnis der Beweise, stattgibt, das hält die Korruptionsstaatsanwaltschaft für vertretbar.

Alles, was relevant ist

Die Polizei hat entlastende wie belastende Umstände gleichermaßen zu ermitteln (§ 3 StPO). Anfalls-, Anlass-, Zwischen- und Abschlussberichte (§ 100 StPO) sollen dafür sorgen, dass die Staatsanwaltschaft umfassend informiert wird. Dabei sind jeweils alle "für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage erforderlichen kriminalpolizeilichen Akten zu übermitteln oder auf elektronischem Wege zugänglich zu machen" (§ 100 Abs 4 StPO).

Soll nun die Polizei selbst beurteilen, was für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage erforderlich ist? Und nach welchem Maßstab? Die Frage ist von zentraler Bedeutung, weit über den Anlassfall des Tierschützerprozesses hinaus. Zu ihrer Beantwortung ist es nötig, sich auf die Rolle der jeweiligen Akteure des Strafverfahrens zu besinnen.

Das Ermittlungsverfahren leitet die Staatsanwaltschaft, nach Möglichkeit in Kooperation mit der Kriminalpolizei. Über Anklage oder Einstellung entscheidet die Staatsanwaltschaft allein. Dazu braucht sie einen umfassenden Blick auf die Ermittlungsergebnisse. Dürfte die Polizei hier nach eigener Einschätzung vorfiltern, dann zöge sie ein Stück der Anklageentscheidung der Staatsanwaltschaft an sich – unzulässigerweise. Und sie würde der Staatsanwaltschaft den Blick auf das Gesamtbild der Ermittlungsergebnisse nehmen, was zwangsläufig zu Fehlentscheidungen führen würde.

Nicht bloß das, was die Polizei selbst für bedeutsam hält, hat sie an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten, sondern alles, von dem die Polizei denkt, dass es vielleicht für die Staatsanwaltschaft relevant sein könnte. Im Zweifel sind also sind Informationen und Akten weiterzuleiten. Es mag auch dann noch Grenzfälle geben. Eine 16 Monate dauernde verdeckte Ermittlung in nächster Nähe der Angeklagten zählt sicher nicht als Grenzfall. Ebenso gut könnte die Polizei einen Alibizeugen verschweigen, weil sie ihn nicht für glaubwürdig hält.

Im Tierschützerprozess hätte das Vertuschen der verdeckten Ermittlungsergebnisse fast zu einer Verurteilung geführt. Zu behaupten, es sei vertretbar, dass die Polizei einen solchen Beweis verheimlichen dürfe, ist nicht nur unvertretbar. Es ist eine zynische, gefährliche Irrlehre, die ein Verständnis der im modernen Strafverfahren gebotenen Rollenverteilung ebenso vermissen lässt wie ein Mindestmaß an rechtstaatlichem Gespür. (Eberhart Theuer, DER STANDARD Printausgabe, 3.8.2011)